Bela Baruch SPIEGEL, geboren am 10. April 1872 in Kaisersdorf (Csaszarfalu, Komitat Sopron/Ödenburg, Ungarn), war Kaufmann, Vorstandsmitglied der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg und verheiratet mit der Jüdin Therese, geborene POLLAK, geboren am 20. August 1878 in Edelsthal bei Kittsee (Nemes Völgy, Komitat Moson/Wieselburg, Ungarn).
Das Ehepaar SPIEGEL, das seit 1906 in Salzburg einen Antiquitätenhandel betrieb, und sein Adoptivsohn Ladislaus wohnten im gutbürgerlichen Andrä-Viertel, Faberstraße 11, in einem jener großstädtischen »Hellerhäuser«, die gleich wie die an der Rainerstraße liegenden palaisartigen »Faberhäuser« in der Gründerzeit errichtet und im antisemitischen Salzburg als »Judenhäuser« tituliert wurden.1
Bela Baruch und Therese SPIEGELS Antiquitätengeschäft, das sich im Haus Getreidegasse 34 befand (Zugang Sternbräu), wurde in der »Reichskristallnacht« vom 9. auf den 10. November geplündert und zerstört. Die Familie SPIEGEL musste ihre schöne Wohnung im Andrä-Viertel, die ein nationalsozialistischer Schul- und Blockwart beanspruchte, räumen.
Das Ehepaar SPIEGEL, das nach Wien flüchtete, im 2. Bezirk, Große Stadtgutgasse 18, wohnte, wurde gemeinsam mit den ebenfalls aus dem Salzburger Andrä-Viertel vertriebenen Ehepaaren ANINGER und FISCHER am 14. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert.
Der 70-jährige Bela Baruch SPIEGEL wurde dort am 28. Oktober 1942 ermordet. Rund fünf Wochen vor seinem Tod, am 21. September 1942, wurde seine 64-jährige Ehefrau Therese SPIEGEL – im »Transport Bp« gemeinsam mit den ebenfalls aus Salzburg vertriebenen Frauen Amalie ROSENFELD, Anna POLLAK und Anna STUCHLY – von Theresienstadt in das Vernichtungslager Treblinka deportiert, dort ermordet.
Unbekannt ist der Schicksalsverlauf ihres Adoptivsohnes Ladislaus SPIEGEL, geboren am 27. Jänner 1914 in Lackenbach, der im November 1938 in Dachau inhaftiert war und unter der Bedingung, das Land umgehend zu verlassen, freigelassen wurde.
Gewiss ist lediglich, dass er bis November 1938 in Salzburg und bis April 1939 in Wien gemeldet war (»Abmeldung nach Moosbrunn«). Sein Name steht jedenfalls nicht in den Shoah-Datenbanken.
Darin finden wir jedoch Bela Baruchs Bruder Albert SPIEGEL, dessen Ehefrau Katharina und ihren Sohn Armand, die eine Zeit lang in Salzburg und zuletzt in Wien lebten und am 15. Juni 1942 in Maly Trostinec ermordet wurden.
In den Shoah-Datenbanken finden wir außerdem eine weitere Familie, die mit den Brüdern Bela Baruch und Albert SPIEGEL verwandt war und rund zwei Jahrzehnte in Salzburg lebte: Samuel SPIEGEL, seine Ehefrau Hedwig und ihre beiden Kinder Gustav, geboren am 13. Februar 1912 in Salzburg, und Gertrud, geboren am 7. Juli 1914 in Salzburg, verehelichte Havlinova, die zuletzt in Prag wohnten und von dort deportiert wurden: alle ermordet.
1 Angesichts der vielen Stolpersteine im Andrä-Viertel besteht Erklärungsbedarf: In den nach den Wiener Bauherren Moritz Faber und Josef Heller benannten Faber- und Hellerhäusern an der Rainerstraße, Franz Josef-Straße, Faberstraße und Hubert Sattler-Gasse wohnten die jüdischen Familien Dr. Altmann, Aninger, Bäck, Bonyhadi & Bonyhadi, Havas, Klüger, Löwy & Löwy, Pollak & Pollak, Popper, Rosenthal, Schönbrunn, Schönhorn, Schwarz-Kohn, Singer, Soyka, Spiegel, Stein, Dr. Weihs, Weinstein-Steindler und Winkler. Im Haus Franz Josef-Straße 12, das ebenfalls in der Gründerzeit erbaut wurde und bis 1929 der Jüdin Jenny Nalos, geborene Fuchs, gehörte, wohnten die jüdischen Familien Nalos-Fuchs, Löwy-Fuchs und Fischer.
Bemerkenswert ist außerdem, dass sieben Hellerhäuser, Franz Josef-Straße 6 und 8, Faberstraße 7, 9 und 11, Hubert Sattler-Gasse 5 und 7, seit 1920 im Eigentum von Samuel Gump, Eugen Weil, Emmy Weil-Gump und Meta Braun-Gump waren: Schweizer Bürger und Bürgerinnen, die unter dem NS-Regime nicht enteignet werden konnten und hernach ihr Eigentum verkauften.
Im Haus Franz Josef-Straße 11 / Faberstraße 16, das der jüdischen Familie Weissenstein aus Wien gehörte, befand sich bis 1938 das von Juden bevorzugte Sanatorium Hromada. Das Haus wurde unter dem NS-Regime ebenfalls nicht enteignet, aber von der Wehrmacht genutzt: »hygienische Versuchsanstalt«. Eine Eigentümerin, Margarethe Weissenstein, verehelichte De Francesco, wurde in Ravensbrück ermordet. Das Haus wurde von den überlebenden Eigentümerinnen verkauft.
Rechtsanwalt Dr. Josef Weihs, ein Jude, der mit einer Katholikin verheiratet war, 1940 zum katholischen Glauben konvertierte, unter dem NS-Regime Berufsverbot hatte, doch weiterhin im Faberhaus Rainerstraße 2 wohnte, machte als Zeitzeuge genaue Aufzeichnungen über Salzburger »Ariseure« und sonstige Nutznießer der Vertreibungen. Dr. Weihs, der hernach geschädigten jüdischen Familien helfen konnte, starb 1958 in Salzburg.
Ludwig und Helene Löwy, die bis November 1938 im Hellerhaus Franz Josef-Straße 6 wohnten, zählten zu den wenigen Vertriebenen, die aus ihrem Exil in das befreite Salzburg zurückkehrten. Ludwig Löwy, Sohn des 1935 verstorbenen Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Rudolf Löwy, Hubert Sattler-Gasse 5, war nach seiner Rückkehr Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde. Ludwig und Helene Löwy starben in Salzburg und wurden in Tel Aviv bestattet. Dort lebt ihre Tochter Liselotte Papo, geboren 1924 in Salzburg.
Erwähnenswert ist schließlich, dass sich unweit des Andrä-Viertels die im Jahr 1901 errichtete Synagoge befindet: Lasserstrasse 8, Sitz der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg, die 1911 unter ihrem Rabbiner Dr. Adolf (Abraham) Altmann gegründet wurde. Von 1907 bis 1914 wohnte Dr. Altmann mit seiner Familie im Hellerhaus Faberstraße 11. In dieser Zeit wurden ihre Kinder Erwin, Hilda, Manfred und Edith geboren. Edith, die ein Jahr nach ihrer Geburt starb, wurde auf dem jüdischen Friedhof in Salzburg-Aigen beerdigt (ihr Grabstein wurde unter dem NS-Regime zerstört).
Dr. Adolf Altmann, von 1920 bis 1938 Oberrabbiner in Trier (Rheinland-Pfalz), seine Ehefrau Malvine, ihr in Meran geborener Sohn Wilhelm, ihre am 18. März 1909 in Salzburg geborene Tochter Hilda, deren Ehemann Maurits van Mentz und Kinder Benno und Robert wurden in Auschwitz ermordet.
Im Jahr 1988 wurde nach Dr. Adolf Altmann in der Stadt Salzburg eine Straße benannt. Dr. Altmanns Geschichte der Juden in Stadt und Land Salzburg wurde 1990 neu aufgelegt (Otto Müller Verlag, Salzburg). Seine Erinnerungen als k. u. k. Feldrabbiner erschienen 1993 als Sonderteil in »Ein ewiges Dennoch, 125 Jahre Juden in Salzburg, Herausgeber Marko M. Feingold, Wien 1993«.
Stolperstein
verlegt am 22.06.2009 in Salzburg, Faberstraße 11