Bruno WALTER, geboren am 15. September 1876 in Berlin, Bezirk Neukölln, Hafenstraße 1, war das zweite von drei Kindern des jüdischen Ehepaares Johanna, geborene Fernbach, und Josef Schlesinger, Kaufmann von Beruf.

Erzählt wird, dass Bruno Schlesinger – als Pianist und Kapellmeister nannte er sich Bruno WALTER – anno 1898 zum Katholizismus übergetreten sei: ein Glaubenswechsel, der nicht verbürgt ist.

Als Bruno Schlesinger und Elisabeth Wirthschaft, die sich als Künstlerin Elsa Korneck nannte, am 2. Mai 1901 in der Hauptstadt des Deutschen Reiches heirateten, protokollierte das Berliner Standesamt Nr. 3 »evangelisch« als Religion bei beiden Ehepartnern.

Unbekannt blieb bislang ebenso, dass Elsa und Bruno Schlesinger ihre in Wien geborenen Töchter Charlotte (geb. 1903) und Margarethe (geb. 1906) in der Lutherischen Stadtkirche, Wien Innere Stadt, taufen ließen.

Längst bekannt ist hingegen, dass Gustav Mahler als Direktor der Wiener Hofoper im September 1901 Bruno WALTER an die Hofoper engagierte. Seit Mai 1911 führte er offiziell den Namen WALTER. Er erhielt außerdem die österreichische Staatsbürgerschaft.

Im Rückblick wissen wir, dass sich mit dem Religions- und Namenswechsel zwar Karrierehemmnisse aus der Welt schaffen ließen, aber keineswegs Antisemitismus und Rassismus.

Ehe Bruno WALTER die kaiserliche Haupt- und Residenzstadt Wien verließ, brachte er noch Das Lied von der Erde und die 9. Sinfonie des im Mai 1911 verstorbenen Gustav Mahler zur Uraufführung.

Fortan galt Bruno WALTER als Spitzeninterpret des Werkes von Gustav Mahler und überdies als Dirigent der ersten Garde in europäischen Musikzentren. Seine 20-jährige Präsenz im deutschen Musikleben, in München, Berlin und Leipzig, hatte jedoch 1933 ein jähes Ende.

Der Wiener Musikkritiker Max Graf würdigte Bruno WALTER anlässlich seines 60. Geburtstages am 15. September 1936:

… Walter war einer der meist gefeierten internationalen Dirigenten geworden, und kam, mit diesem Lorbeer gekrönt, nach Salzburg, wo er künstlerisch die höchste Stufe seines Lebens erreicht hat. Die von ihm geleiteten Aufführungen der Salzburger Festspiele waren Kunstereignisse ersten Ranges.
Der Wiener Tag, 15. 9. 1936, S. 6

In den Annalen der Salzburger Festspiele 1925 bis 1937 wird die künstlerische Bilanz des Pianisten und Dirigenten Bruno WALTER nüchtern festgehalten: 28 Orchesterkonzerte, 13 Opern und sechs Liederabende – als Klavierbegleiter der Sängerin Lotte LEHMANN.

Es verwundert nicht, dass ausschließlich Bruno WALTER in den Festspielsommern Werke Gustav Mahlers – eines unter der NS-Herrschaft verbotenen Komponisten – dirigierte: die 3. und 4. Sinfonie (1926, 1933, 1936), Das Lied von der Erde (1928, 1931, 1934) und Kindertotenlieder, den 1905 in Wien uraufgeführten Liederzyklus, der ein einziges Mal am 17. August 1930 von der Sängerin Luise Willer und den Wiener Philharmonikern unter Bruno WALTER im Mozarteum geboten werden konnte:

Das Werk, in dem so vieles auf das viel spätere, in seinen Ausdrucksmitteln reichere Lied von der Erde hinweist, mit dem es die Tiefe der Empfindung und die Meisterschaft in der solistischen Behandlung der Instrumente und ihre Kontrastierung mit der Singstimme gemein hat, konnte keinem Würdigeren anvertraut werden als dem Schüler und Vorkämpfer Mahlers, Bruno Walter.
Neue Freie Presse, 22. 8. 1930, S. 3

Seit 1933, dem 50. Todesjahr des Komponisten Richard Wagner, diente Bayreuth als nationalsozialistische Kultstätte – »Hitlers Hoftheater« (laut Thomas Mann). Bekannt ist überdies, dass Maestro Arturo TOSCANINI 1933 Bayreuth den Rücken kehrte. Sein Protest richtete sich aber nicht gegen Bayreuth, vielmehr gegen den Boykott, die Diskriminierung und Verfolgung der Juden.

Im 50. Todesjahr Wagners hielt zum ersten Mal eines seiner Bühnenwerke Einzug in das Salzburger Festspielhaus: Tristan und Isolde, ein Liebesdrama, das der im März 1933 aus Leipzig und Berlin vertriebene Bruno WALTER mit den Wiener Philharmonikern in Salzburg einstudierte. Der Wiener Architekt Oskar Strnad entwarf die Szenenbilder. Premiere war am 4. August 1933.

In den Ovationen des Publikums erblickte der Wiener Musikkritiker Paul Stefan (Grünfeld) eine Manifestation gegen den Rassenwahn, der sich Bayreuth unter der Direktorin Winifred Wagner, Duz-Freundin Adolf Hitlers, bemächtigt hatte:

… Das bis auf den letzten Platz gefüllte Haus bereitete allen diesen Künstlern, aber ganz besonders Walter Ovationen. In seinem Fall demonstrierte es offen gegen die neu-borussische [preußisch nationalsozialistische] Anwendung des Rassenwahns auf die Musik, eines Wahns, den Walter gestern einmal mehr durch Tat und Beispiel widerlegte.
Aber schon ein Kronzeuge des Drittes Reiches hatte ihn von Anfang an unmissverständlich widerlegt: Richard Wagner, der (es kann nicht oft genug gesagt werden) seinen ersten ‚Parsifal‘ – und gerade ‚Parsifal‘ – dem Rabbinersohn Hermann Levi zu dirigieren gab. Die Herren, die sich jetzt als Patrone der Bayreuther Festspiele auftun, hätten ihm dafür wegen Sabotage der nationalen Revolution ganz einfach mal die Bude gesperrt. Paul Stefan.

Die Stunde, 6. 8. 1933, S. 5

Obschon Richard Wagners Tiraden gegen das Judentum hinlänglich bekannt waren, verstand der Wiener Musikkritiker Paul Stefan die von Bruno WALTER in Salzburg geleitete Oper Tristan und Isolde als künstlerischen Protest gegen die vermeintlich ungerechtfertigte Vereinnahmung Richard Wagners durch das nationalsozialistische Deutschland.

Somit blieb das in seinem 50. Todesjahr gefeierte Idol ohne Makel: Die Festspielstadt Salzburg konnte sich glaubhaft als »Gegen-Bayreuth« positionieren.

Richtig ist, dass Hermann Levi anno 1882 die Uraufführung des Parsifal in Bayreuth dirigierte. Bedeutsamer ist jedoch für die Salzburger Festspiele, dass Hermann Levi die Libretti von Lorenzo Da Ponte zu den Opern Così fan tutte, Don Giovanni und Le Nozze di Figaro ins Deutsche übersetzte und sie als »Mozart-Zyklus« in das Opernrepertoire einführte.

Im Festspielsommer 1922 wurden die drei genannten Opern Mozarts in deutscher Sprache und überdies sein Singspiel Die Entführung aus dem Serail unter der Leitung von Richard Strauss und Franz Schalk aufgeführt. Seither war Mozart – als Komponist und Freimaurer grenzüberschreitend, universell und kosmopolitisch – musikalischer Fixstern der Salzburger Festspiele.

In elf Festspielsommern leitete Bruno WALTER dreizehn Opern, davon allein fünf von Mozart: Die Entführung aus dem Serail (1926, 1935), Così fan tutte (1928), Die Zauberflöte (1931, 1932, 1933), Don Giovanni (1931, 1934, 1935, 1936, 1937) und Le Nozze di Figaro (1937). Die genialen Bühnenbilder für Die Zauberflöte, Don Giovanni und Die Entführung aus dem Serail stammen von Oskar Strnad.

Begeistert war die Kritik sogar von der »Salzburger« Zauberflöte, die in einer Neuinszenierung am 8. August 1931 im Festspielhaus Premiere hatte:

Es ist auffallend, dass in der Zauberflöte so viel Vorstadt-Kindlichkeit steckt. Dass diese harmlos lockere Musik zufällig so herrlich geriet, kommt nur daher, dass Mozart sie schrieb. Und wo es sich um die Töne der Brüderlichkeit, der hohen Menschenliebe handelt, war es erst recht Mozart, der hier aus Eigenem seinen in der Freimaurerei aufgenommenen Idealen Ausdruck gab […]. Otto Kunz.
Salzburger Volksblatt 10. 8. 1931, S. 6

Mozarts Don Giovanni, den Bruno WALTER in italienischer Sprache mit Ezio Pinza in der Titelrolle einstudierte und Margarete WALLMANN als Ballettchefin der Wiener Staatsoper choreografierte, war die künstlerische Sensation im Festspielsommer 1934.

Gewiss ist, dass Bruno WALTER einer der bedeutendsten Interpreten Mozarts war und mit Vorliebe seine Sinfonien in Salzburg dirigierte:

Mozart ist für Bruno Walter ein universeller Komponist mit allen lockeren und tiefen Eigenschaften, ein Musikgott, der, ob gut oder schlecht gelaunt, in tausend Arten alles kann. […] Mit dem Orchesterkörper der Philharmoniker war dieses Musizieren vollendet festspielmäßig. Demgemäß war auch das äußere Bild: ausverkauftes Haus, Sprachengewirr, begeistertes Publikum. Otto Kunz.
Salzburger Volksblatt, 28. 8. 1933, S. 4

Der Kritiker vergaß zu erwähnen, dass Bruno WALTERs Mozart-Konzert, das am 27. August 1933 im Mozarteum stattfand, zu einer speziellen Reihe von Konzerten gehörte, welche die Salzburger Festspiele und die Internationale Stiftung Mozarteum gemeinsam im Mozarteum veranstalteten, und zwar unter dem Titel »Mozartfest«, wohl in Anknüpfung an die legendären Mozartfeste in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg.

Bruno WALTER gab am 16. August 1928 sein erstes und am 8. August 1937 sein sechstes oder siebentes, jedenfalls sein letztes philharmonisches Konzert unter dem Titel »Mozartfest« im Großen Saal des Mozarteums:

… Es war ein echtes Mozartfest, bejubelt, begeistert aufgenommen, das Radio hat es, so gut es dies vermag, in die Welt hinausgetragen. Otto Kunz.
Salzburger Volksblatt, 9. 8. 1937, S. 4

Im Festspielsommer 1937 dirigierte Bruno WALTER erstmals Mozarts Opera buffa Le Nozze di Figaro in italienischer Sprache, neu inszeniert von Lothar WALLERSTEIN und choreografiert von Margarete WALLMANN. Die Titelrolle war, wie schon in Don Giovanni, mit dem italienischen Sänger Ezio Pinza ideal besetzt. Prominenter Besucher der Premiere war Österreichs Bundeskanzler Kurt Schuschnigg.

Anfang 1938 wurde Bruno WALTERs Vertrag als »künstlerischer Berater« der Wiener Staatsoper verlängert. Für die Salzburger Festspiele 1938 war eine weitere Mozart-Oper in italienischer Sprache unter Bruno WALTERs Leitung geplant: Così fan tutte.

Somit hätte er im Festspielsommer 1938 vier Opern geleitet: Glucks Orfeo ed Euridice, Mozarts Don Giovanni, Le Nozze di Figaro und Così fan tutte (Libretti von Da Ponte), außerdem Die Zauberflöte unter TOSCANINI, somit vier Mozart-Opern.

Ein Blick in die Annalen der Festspiele 1938 unter ihrem Spindoktor Joseph Goebbels genügt, um festzustellen, dass lediglich zwei Opern Mozarts zur Aufführung gelangten: Don Giovanni und Le nozze di Figaro – Mozart als schwindender musikalischer Stern unter der Leitung von Karl Böhm respektive Hans Knappertsbusch.

Der Name des Dirigenten, der in Salzburg Mozart und Da Ponte in italienischer Sprache einstudiert hatte, ist aus rassistischen Gründen ausgelöscht: Bruno WALTER.

Beachtenswert ist ferner, dass 1938 die Titelrollen in Don Giovanni und Figaro mit Ezio Pinza besetzt blieben. In den Annalen ist allerdings nicht zu lesen, dass der italienische Opernstar mit Bruno WALTERs verheirateter Tochter Margarethe eine Liebesaffäre hatte, die in einer Tragödie mündete: WALTERs Tochter wurde am 18. August 1939 von ihrem Ehemann Robert Neppach in ihrem Fluchtort Zürich erschossen. Er beging daraufhin Suizid.

Bruno WALTER, seine Ehefrau Elsa und ihre ältere Tochter Lotte verließen Europa nach Beginn des Zweiten Weltkrieges und erreichten am 9. November 1939 New York.

Das Ehepaar WALTER lebte in Los Angeles, Beverly Hills. 1945 starb die Ehefrau. 1946 erwarb Bruno WALTER die US-amerikanische Staatsbürgerschaft.

Bemerkenswert ist noch, dass Bruno WALTER in den Salzburger Festspielsommern 1949, 1950, 1953 und 1956 mit den Wiener Philharmonikern sieben Konzerte dirigierte, zuletzt Mozarts Requiem, die letzte Komposition Mozarts vor seinem Tod.

Am 17. Februar 1962 starb Bruno WALTER 85-jährig in Beverly Hills, seinem letzten Lebensort.

In seinen ehemaligen Wirkungsorten Berlin, München und Salzburg erhielten öffentliche Verkehrswege seinen Namen, ein Asteroid ebenso.

Quellen

  • Geburtenregister des Standesamtes Berlin 8 (Nr. 1863)
  • Trauungsregister des Standesamtes Berlin 3 (Nr. 401)
  • Taufregister der Lutherischen Stadtkirche, Wien Innere Stadt
  • Archiv der Salzburger Festspiele
  • Stadt- und Landesarchiv Salzburg
  • ANNO: Austrian Newspapers Online
  • Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit (Universität Hamburg)
  • Bruno Walter: Thema und Variationen. Erinnerungen und Gedanken, Stockholm 1947
Autor: Gert Kerschbaumer

Stolperstein
verlegt am 17.08.2020 in Salzburg, Max-Reinhardt-Platz

<p>HIER WIRKTE<br />
BRUNO WALTER<br />
JG. 1876<br />
DIRIGENT<br />
FLUCHT 1939<br />
USA</p>
Bruno Walter
Quelle: kuenste-im-exil.de Bruno Walter »Thema und Variationen. Erinnerungen und Gedanken, Stockholm 1947« Grab von Bruno Walter und Familie in Sant’Abbondio im Kanton Tessin, Schweiz
Quelle: wikipedia.org

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