Abraham MORPURGO, geboren am 23. August 1882 in Amsterdam, war eines von acht Kindern des jüdischen Ehepaares Vogeltje, geborene Beddekoper, und Izak MORPURGO, dessen Grab sich auf dem bekannten sephardischen Friedhof Beth Haim unweit von Amsterdam in Ouderkerk aan de Amstel befindet.

Abraham MORPURGO heiratete am 26. Dezember 1911 in der Salzburger Synagoge Elsa Klein, geboren am 24. September 1887 in Böhmisch (Cesky) Brod, Österreich-Ungarn (hernach Tschechoslowakei).
Elsa war das jüngste von drei Kindern des jüdischen Ehepaares Johanna, geborene Drucker, und Moritz Klein, der Sägewerks- und Mühlenbesitzer in Bergheim bei Salzburg war.

Die Familie Klein, die seit 1892 in der Stadt Salzburg lebte und hier nach altösterreichischem Recht heimatberechtigt war, wohnte im Andrä-Viertel, Markus Sittikus-Straße 15.
Moritz Klein starb hier 72-jährig am 17. April 1923 – das einzige Mitglied der Familie MORPURGO-KLEIN, dessen Grab sich auf dem jüdischen Friedhof in Salzburg-Aigen befindet.

Elsa und Abraham MORPURGOs Tochter Edith kam am 20. November 1912 in Salzburg zur Welt. Die Familie MORPURGO wohnte im Stadtteil Elisabeth-Vorstadt, im Haus Schlachthofgasse 19 (Rainerstraße 15). Abraham MORPURGO war von Beruf Kaufmann und bis zum Gewaltjahr 1938 Inhaber einer großen Handels- und Versicherungsagentur, Generalagentur »Der Anker«, mit Sitz im Haus Lessingstraße 6 (Rainerstraße 17).
Beide Häuser an der Rainerstraße (vormals Westbahnstraße) gehörten dem jüdischen Ehepaar Gottlieb und Hermine Winkler.
Im Jahr 1921 starb Gottlieb Winkler, Vizepräsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg. Fortan war die Witwe Hermine Winkler Alleineigentümerin.

Im Gewaltjahr 1938 waren ein Baudirektor und ein Dentist aus Salzburg die Nutznießer der Vertreibung der Familie MORPURGO aus den Häusern der Jüdin Hermine Winkler.
Abraham MORPURGO, der nach wie vor Staatsbürger des Königreichs Niederlande war, seine Ehefrau Elsa, Tochter Edith und Schwiegermutter, die 78-jährige Witwe Johanna KLEIN, flüchteten im Juni 1938 nach Amsterdam.

Am 27. April 1939 heirateten dort die 26-jährige Edith MORPURGO und Julius Jakob David ESSINGER, geboren am 21. April 1902 in München, der ebendort Kinobesitzer war und schon im Jahr 1937 nach Amsterdam geflüchtet war.
Das Ehepaar ESSINGER bekam in Amsterdam zwei Kinder, Eveline Franziska, geboren am 15. Februar 1940, und René, geboren am 20. April 1942.

Unter der deutschen Besetzung Hollands wurden die Familien MORPURGO-KLEIN und ESSINGER, die zuletzt in Amsterdam, Prinsengracht 1045 und Vijzelstraat 119, wohnten, verhaftet und interniert.
Genaue Daten sind nicht bekannt, gewiss ist allerdings, dass Abraham MORPURGO, seine Schwiegermutter Johanna KLEIN und Tochter Edith, ihr Ehemann und ihre Tochter Eveline nach Auschwitz deportiert wurden, wie aus der niederländischen Datenbank Community Joods Monument und aus der Shoah-Datenbank Yad Vashem hervorgeht.

Die 29-jährige Edith ESSINGER, geborene MORPURGO, ihr Ehemann Julius Jakob David ESSINGER und ihre zweijährige Tochter Eveline wurden am 31. August 1942 in Auschwitz ermordet.
Ediths 60-jähriger Vater Abraham MORPURGO wurde am 26. Januar 1943, ihre 83-jährige Großmutter Johanna KLEIN am 12. Februar 1943 in Auschwitz ermordet.

Johanna KLEINs beiden Söhnen Karl und Hugo gelang die Flucht nach Shanghai. Karl starb 1947 in Shanghai, Hugo 1956 in einem Lungenhospital in Israel. Ihre Schwester Elsa, Abraham MORPURGOs Frau, starb 55-jährig am 28. Oktober 1942 in Amsterdam, somit nach der Ermordung ihrer Tochter Edith, ihres Enkelkindes und Schwiegersohnes in Auschwitz, wie Recherchen in Holland ergaben.

Dank der Forschungen des Münchner Stadtarchivs wissen wir, dass Edith ESSINGERs Sohn René in Obhut einer holländischen Familie blieb und die Terrorjahre überstand (siehe Gedenkbuch der Münchner Juden).

Nach längeren Recherchen erhielten wir zu Beginn des Jahres 2012 die Nachricht, dass der in Auschwitz ermordete Abraham MORPURGO sieben Geschwister hatte, von denen nachweislich vier ermordet wurden: seine Brüder Jacob und Joseph in Sobibor, sein Bruder Mozes und seine Schwester Sippora, verehelichte Frank, in Auschwitz.

Gänzlich unbekannt war bislang, dass Adolf Eichmann – bekanntlich einer der Hauptorganisatoren des Holocaust – im Jahr 1933, damals Angestellter der Vacuum Oil Company, in Salzburg gearbeitet und gewohnt hatte.

Doch wie konnte Adolf Eichmann, der als NSDAP-Mitglied Nr. 899895 im »Braunen Haus« der Salzburger NSDAP (Ecke Faberstraße 17, Auerspergstraße 16) registriert war, am 14. Juni 1933 unbehelligt aus Salzburg verschwinden?
Weil hier die Polizei nach einer Serie nationalsozialistischer Sprengstoffanschläge in Österreich versagt hatte.
Am 13. Juni 1933 war es der Polizei in Salzburg misslungen, die führenden Köpfe der NSDAP zu verhaften, weil die Salzburger NSDAP in ihrem »Braunen Haus« von einem Polizisten vorgewarnt worden war – Tatbestand: Geheimnisverrat in der Staatspolizei, ein nationalsozialistischer »Maulwurf«, der mit der Evidenzhaltung der in Salzburg ansässigen Nationalsozialisten – darunter Adolf Eichmann – betraut war.

Der Staatspolizei misslang in Salzburg nicht bloß die Verhaftung der Nationalsozialisten, sondern überdies der Beweis für den Geheimnisverrat und Amtsmissbrauch.
Das Misslingen der Staatspolizei blieb daher ihr Amtsgeheimnis. Die Öffentlichkeit sollte nichts davon erfahren, dass der Kriminalpolizist Eduard Fischer, dem die Staatspolizei nichts beweisen konnte oder wollte, auch nach außen hin die Seiten wechselte, in das Deutsche Reich ging, in München Gestapo- und SS-Karriere machte.
Die Öffentlichkeit sollte ebenso wenig davon erfahren, dass Adolf Eichmann vom 7. Jänner bis 14. Juni 1933 in Salzburg wohnte, nicht irgendwo, sondern als Untermieter im ersten Stock des Hauses Schlachthofgasse 19, das Antisemiten als »Judenhaus« diffamierten.

Die Häuser Schlachthofgasse 19 und Lessingstraße 6, die der Witwe Hermine Winkler gehörten, sollten nach ihrem Tod im Jahr 1937 in das Eigentum ihrer Erben übergehen: Ing. Hugo Winkler, Mensa academica judaica, Chewra Kaddischa und Israelitisches Blindeninstitut. Es erfolgte jedoch kein Eintrag im Grundbuch.

Die beiden Häuser wurden 1939 enteignet (Schlachthofgasse 19: Lorenz und Olga Deutschmann, Lessingstraße 6: Liselotte Niedermüller-Zojer) und 1950 bis 1955 schrittweise an Hugo Winkler und an die Israelitische Kultusgemeinde Wien restituiert (Grundbuch Salzburg-Froschheim EZ 225 und EZ 228).

Im Jahr 1960 wurde im Gemeinderat der Stadt Salzburg auf Antrag der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) die Schlachthofgasse einstimmig in Hans-Prodinger-Straße umbenannt.

Doch wer war Hans Prodinger, dem diese Ehre des Nachruhmes zuteil wurde?
Hans Prodinger, geboren 1887 in Villach, hatte von 1925 bis 1928 im Haus Schlachthofgasse 15 gewohnt.
Er war von Beruf Auslagendekorateur, war aggressiver Antisemit, Nationalsozialist, führender »Anschluss«-Politiker und Abgeordneter des Salzburger Landtags, seit 1928 Großdeutscher und Abgeordneter des österreichischen Nationalrats in Wien, seit 1934 Angehöriger der Vaterländischen Front sowie Obmann der Gewerkschaft der Handelsangestellten und der Versicherungsanstalt der Angestellten.

Er wurde im Gewaltjahr 1938 wegen seiner Funktionen im »Ständestaat« politisch verfolgt, am 17. Juni 1938 ins KZ Dachau deportiert: »akuter Herztod« am 5. September 1938.

Seit März 1988 befindet sich eine Gedenktafel im österreichischen Parlament für die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung: »Der großdeutsche Abgeordnete Hans Prodinger 14. 11. 1887 – 5. 9. 1938 kam im KZ Dachau um.«

Es vergingen noch Jahrzehnte bis zum Gedenken an die Shoah-Opfer aus Salzburg.

Autor: Gert Kerschbaumer

Stolperstein
verlegt am 07.07.2011 in Salzburg, Hans-Prodinger-Straße 19

<p>HIER WOHNTE<br />
EDITH MORPURGO<br />
JG. 1912<br />
FLUCHT 1938 HOLLAND<br />
INTERNIERT WESTERBORK<br />
DEPORTIERT 1942<br />
AUSCHWITZ<br />
ERMORDET 31.8.1942</p>
Meldeschein von Edith Morpurgo Meldeschein von Adolf Eichmann NSDAP-Mitgliedskarte des Adolf Eichmann mit Wohnadressen (Linz, Bischofstraße 3; Salzburg, Schlachthofgasse 19; Berlin, Wilhelmstraße 102 = Sicherheitsdienst des Reichsführers SS; Wien, Theresianumgasse 16 = Palais Rothschild, »Zentralstelle für jüdische Auswanderung«)

Alle Stolpersteine: Hans-Prodinger-Straße 19