Jozef KOSCIOLEK, am 17. Jänner 1899 in Krakau (Krakow) geboren, war polnischer Staatsbürger, katholisch, verheiratet und von Beruf Schlosser.
Er lebte mit seiner Familie in Zabierzow, einer Landgemeinde nordöstlich von Krakau, ehe er im Verlauf des Zweiten Weltkrieges zur Zwangsarbeit in das Deutsche Reich verschleppt wurde.

Jozef KOSCIOLEK zählt zu jenen Kriegsgefangenen und »Zivilarbeitern«, die in noch vorhandenen Karteien ehemaliger Zwangsarbeitslager aufscheinen, andernfalls wüssten wir nicht, dass er als Schlosser für die als »kriegswichtig« geltende Deutsche Reichsbahn in Salzburg arbeiten musste.

Es zeigt sich allerdings, dass sich die Identität eines Opfers, das einen heimlichen Tod ohne eigene Zeugen erlitten hatte, nur mithilfe von Dokumenten des NS-Regimes klären lässt, wobei die Geheime Staatspolizei (Gestapo) als Machtträgerin mit Deutungshoheit zu dokumentieren pflegte, dass ihre Opfer selbst Hand an sich gelegt hätten und somit an ihrem Schicksal selbst Schuld trügen, keine Opfer des Staatsterrors wären.

Im konkreten Fall verschwieg die Gestapo Salzburg sogar den Grund für die Verhaftung – Arbeitsverweigerung, Flucht oder »staatsfeindliches Verhalten«.
In der »Sterbefallmeldung« der Gestapo-Stelle Salzburg, die Dr. Hubert Hueber leitete, wird der Tod des 43-jährigen Jozef KOSCIOLEK mit folgendem Wortlaut registriert:

Der polnische Zivilarbeiter Kosciolek Josef ist am 23. 11. 43 um 16 Uhr in der Handzelle der hiesigen Dienststelle erhängt aufgefunden worden.
Die Leiche kann zur Beerdigung freigegeben werden, da offensichtlich Selbstmord vorliegt.
Hueber

Unter dem NS-Regime lautete die offizielle Adresse der »hiesigen Dienststelle«: Hofstallgasse 5, Quartier der Gestapo-Stelle Salzburg im beschlagnahmten Franziskanerkloster (Franziskanergasse 5).

Dort befand sich die von der Gestapo bei ihren Verhören benutzte »Handzelle«, eine kleine kahle Zelle, wo sich Jozef KOSCIOLEK erhängt haben soll.
Die von der Gestapo bescheinigte Todesart erhielt mit dem »Totenbeschauschein« eines Arztes mit unleserlicher Unterschrift ihre Rechtsgültigkeit.

Aus diesem Papier geht jedoch nicht hervor, wie es dem Häftling gelingen konnte, sich in besagter »Handzelle« ohne fremde Hilfe – Strick und Haken – zu erhängen: somit ärztlicherseits kein Zweifel an der Gestapo-Meldung, kein Verdacht auf Misshandlung mit Todesfolge, auf Mord und Staatsterror.

Der »Totenbeschauschein« nennt zwar die Gestapo-Dienststelle als Sterbeort und den Kommunalfriedhof als Beerdigungsort, die Suche nach einem Grab mit Namensnennung ist allerdings vergeblich, weil Zwangsarbeiter und Terroropfer generell anonym bestattet wurden – in der »Gruft der Vergessenen«, wie das anonyme Gräber- und Urnenfeld über das Befreiungsjahr 1945 hinaus hieß.

Somit hatte das NS-Regime sein Ziel erreicht, jegliche Terrorspur auszulöschen und Totenehrungen durch Hinterbliebene zu unterbinden.
Hinterbliebene von ausländischen Zwangsarbeitern, darunter die Familie des Jozef KOSCIOLEK, hatten außerdem im befreiten Österreich keinen gesetzlichen Anspruch auf Opferfürsorge und Rente.

Seit 1995 hängt an der Fassade des Franziskanerklosters eine Gedenktafel, auf der geschrieben steht:

Dieses Kloster war 1938 bis 1945 von der Gestapo beschlagnahmt.
Zum Gedenken an Qualen, Folter und Tod ungezählter Opfer
Die Stadt Salzburg

Das Adjektiv »ungezählt« kann sowohl zahllos als auch namenlos bedeuten: eine namenlose Zahl von Opfern, weil diese anonym, namen- und gesichtslos blieben, weil es am Willen mangelte, die Identität der »ungezählten Opfer« zu klären, die anscheinend niemand auf dem Gewissen hat.

Das Personal der Gestapo-Stelle Salzburg ist mittlerweile bekannt. Damit lässt sich anhand des Polizeimelderegisters feststellen, ob die betreffenden Gestapo-Beamten im Befreiungsjahr 1945 untertauchen oder verhaftet werden konnten.

Letztere waren bis August 1947 im US-Camp Marcus W. Orr – bekannt als Lager Glasenbach – interniert. Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verletzungen der Menschenwürde und Misshandlungen ließen sich allerdings nur im Falle von Zeugenaussagen, polizeilichen Ermittlungen und Anzeigen gemäß dem österreichischen Kriegsverbrechergesetz ahnden.

Aktenkundig sind immerhin die – ohne Gerichtsverfahren – von der Gestapo angeordneten Liquidierungen der ukrainischen Zwangsarbeiter Alexander DUBINA, Rawis PLACHE, Leonid STEPANOW und Wladimir SLESAROW am 20. August 1943 im Hof der Rüstungsfabrik Oberascher, des Weiteren die Exekutionen der Polen Aleksy Jagla, Jan Obreski, Pawel Fronzek, Walentyn Pilch und Eugenius Wojtak in Salzburger Landgemeinden und der Mord am belgischen Ehepaar Ramackers (oder Ramakers) am 24. April 1945 im Bunker der Gestapo-Stelle Salzburg.

Die Identität der dort Ermordeten – ihre nackten Leichen seien laut einer Gestapo-Sekretärin um Mitternacht in die nahe Salzach geworfen worden und im Mondschein glänzend fortgeschwommen – ließ sich bislang nicht zur Gänze klären.
Die in den Polizeiakten als Anstifter und Täter bezeichneten Gestapo-Leute Georg König, Hans Gross, Kurt (recte Max) Kaiser und Alexander Riesling (recte Rißling) konnten sich ihrer Verantwortung durch Flucht entziehen. Somit blieben in Salzburg auch die wenigen aktenkundigen Fälle ungesühnt.

Bemerkenswert ist aber, dass Dr. Hubert Hueber, von 1933 bis 1938 illegales NSDAP-Mitglied und österreichischer Polizeijurist in Linz und Wiener Neustadt, von 1942 bis 1945 Gestapo-Chef und SS-Obersturmbannführer in Salzburg, im Befreiungsjahr 1945 verhaftet und im US-Lager Glasenbach interniert werden konnte.
Der auf der »ersten Salzburger Kriegsverbrecherliste« stehende Dr. Hubert Hueber hatte sich sogar gemäß dem österreichischen Kriegsverbrecher- und Verbotsgesetz zu verantworten.

Er wurde am 15. März 1950 vom »Volksgericht« am Oberlandesgericht Linz sowohl wegen Mitschuld an Verbrechen der Quälerei und Misshandlung, an Verbrechen der Verletzung der Menschlichkeit und Menschenwürde als auch wegen Verbrechens des Hochverrats am österreichischen Volk zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt, jedoch von der gravierenden Anklage, er habe ausländische Zwangsarbeiter in Salzburg liquidieren lassen, freigesprochen: Er habe nur höhere Befehle aus der Reichshauptstadt Berlin exekutieren lassen, was Zeugen seiner Verteidigung zu bestätigen wussten und das Gericht zu glauben schien.

Bei der Strafbemessung galt überdies als mildernd:

… das teilweise Geständnis, die bisherige Unbescholtenheit, der gute Leumund, die Sorgepflicht für eine schuldlose Familie [Dr. Huebers Familie, seine Frau und Söhne] und vor allem die Tatsache, wie durch den Zeugen [der Verteidigung] Josef Mitterndorfer bestätigt wird, dass der Angeklagte, der den Eindruck eines ehrlichen, offenen und gutmütigen Charakters macht, in vielen Fällen verfolgten Gegnern des Nationalsozialismus und Juden durch seine Interventionen half und viel Elend und Unbill dadurch vermied.

Das Gerichtsurteil vom 15. März 1950 vermittelt die Ansicht, dass durch das Wirken und Einschreiten des Gestapochefs Dr. Hueber Schlimmeres verhindert werden konnte und dass ihm viele, allerdings nicht namentlich genannte, daher identitätslose Gegner und Juden ihr Leben zu verdanken hätten – gemäß einer Zeugenaussage, die das Gericht als erwiesene Tatsache wertete und allein der Täterseite nutzen konnte: Lebensretter statt Täter.

Augenfällig ist noch, dass die Strafhöhe exakt der Dauer der Untersuchungshaft inklusive der Internierung im Lager Glasenbach entsprach: viereinhalb Jahre. Dr. Huebers Freiheitsstrafe galt somit am Tag der Urteilsverkündung als verbüßt.

Gänzlich unbehelligt blieb hingegen einer der ersten Leiter der Gestapo-Stelle Salzburg: Dr. Rudolf Mildner, ebenfalls österreichischer Jurist, seit den 1920er Jahren Polizeibeamter in Salzburg und hier auch nach österreichischem Recht heimatberechtigt.
Seine Polizei- und SS-Karriere ist in Wikipedia hinlänglich dokumentiert: unter anderem Chef des Polizei- und Standgerichtes im KZ Auschwitz – 1945 interniert, 1949 für immer untergetaucht, aber unter welchem Namen und wo? Seine Familie lebte jedenfalls weiterhin in Salzburg.

Noch heute genießen Täter ein besonderes öffentliches Interesse, während die »ungezählten« Opfer eines rassistischen Strafrechts, das der Gestapo und SS verfahrenslose Exekutionen erlaubte, erst nach und nach aus dem Schatten der Erinnerung treten.

Quellen

  • Stadt- und Landesarchiv Salzburg
  • Landesarchiv Oberösterreich (Akten Volksgericht)
  • Alfons Dür: Über die verfahrenslose Hinrichtung von Zwangsarbeitern (2015)
Autor: Gert Kerschbaumer

Stolperstein
verlegt am 29.09.2017 in Salzburg, Franziskanergasse 5

<p>JOZEF KOSCIOLEK<br />
JG. 1899<br />
POLEN<br />
HAFT GESTAPO SALZBURG<br />
ERMORDET 23.11.1943</p>
Gedenktafel am Franziskanerkloster für Opfer der Gestapo
Foto: Andrea Loidl »Gruft der Vergessenen«
Foto: Friedhofsverwaltung Salzburg

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