Anna SCHNEIDER, am 6. Dezember 1900 in Hallein geboren und katholisch getauft, war das älteste von sechs oder sieben Kindern des Ehepaares Mathilde, geborene Bumbicka, und Josef Schneider, der in Hallein Beamter der Zollwache war.

1925 starb Annas Vater und 1936 ihre Mutter in Hallein.

Im Taufbuch des Pfarramtes Hallein ist auch der Tod der Anna SCHNEIDER vermerkt: »verstorben am 9. 6. 1944« laut einer Mitteilung des Standesamtes Berlin-Charlottenburg.

Auf einen gewaltsamen Tod der 43-jährigen Frau lässt sich daraus nicht schließen. Ihr Name steht außerdem nicht in der 1991 publizierten Dokumentation Widerstand und Verfolgung in Salzburg 1934-1945.

Gewissheit erlangt man erst dank der öffentlich zugänglichen Arolsen Archive: Anna SCHNEIDER war eine widerständige Frau aus Hallein, ein Opfer des nationalsozialistischen Terrors.

Dokumentiert sind überdies bemerkenswerte Details aus ihrem Lebensverlauf: Anna SCHNEIDER, die eine Haupt- und Handelsschule besucht hatte, verließ Österreich 19-jährig nach dem Ende des Ersten Weltkrieges.

Sie lebte rund 22 Jahre im Ausland, zunächst in der Schweiz und seit 1925 in Frankreich. Sie arbeitete als Kinderfräulein, Hausangestellte und Privatsekretärin in Paris.

Wir wissen allerdings nicht, weshalb sie 40-jährig im Juni 1941 während der nationalsozialistischen Herrschaft nach Hallein zurückkehrte – anders als ihre ebenfalls in Paris lebende jüngere Schwester Erna, die dort heiratete und 84-jährig 1997 in Neuilly-sur-Seine starb.

Anna SCHNEIDER arbeitete seit November 1942 in Zell am See. Sie war Beschließerin im Hotel Lebzelter. Am 30. September 1943 besuchte sie ihre Geburtsstadt Hallein – eine verhängnisvolle Eisenbahnfahrt, auf der sie einige Worte mit französischen Zivilarbeitern wechselte und ein längeres Gespräch mit einem ihr bekannten Gast aus dem Hotel Lebzelter führte. Dabei soll sie sich positiv über die Verhältnisse in der Sowjetunion geäußert haben.

Eine Mitreisende, die schweigend zuhörte, informierte darüber die Gestapo in Salzburg. Die Denunziantin hieß Marie Luise von Szabel, Offiziersgattin in Salzburg, Sezenweingasse 5.

Die Gestapo ließ die im Polizeigefängnis inhaftierte Anna SCHNEIDER am 18. Jänner 1944 nach Berlin-Moabit überstellen. Dort wurde sie vom »Volksgerichtshof« wegen »fortgesetzter Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung« angeklagt:

Sie hat aus staatsfeindlicher Gesinnung im Herbst 1943 in Zell am See und anlässlich einer Eisenbahnfahrt von Zell am See nach Hallein durch Angriffe auf das nationalsozialistische Reich und Lobhudeleien auf die Sowjetunion versucht, den deutschen Wehrwillen zu zersetzen.

Der 3. Senat des Volksgerichtshofes (Vorsitz Paul Lämmle) fällte am 25. April 1944 »im Namen des deutschen Volkes« das Todesurteil:

Die Angeklagte Anna Schneider hat im fünften Kriegsjahr in einem überfüllten Eisenbahnabteil und in Gegenwart von zwei Ausländern defaitistische Propaganda getrieben und die Verhältnisse in der Sowjetunion verherrlicht.
Als Zersetzungspropagandistin unserer Feinde ist sie für immer ehrlos und wird mit dem Tode bestraft.

Ihr Gnadengesuch vom 28. April 1944, handschriftlich verfasst im Frauengefängnis Berlin, Barnimstraße 10, fand kein Gehör. Am 9. Juni 1944 wurde Anna SCHNEIDER 43-jährig in Berlin-Plötzensee enthauptet.

Jüngste Forschungen belegen, dass Anna SCHNEIDER – gleich wie Rosa HOFMANN, die widerständige Frau aus Salzburg – zu den 182 Exekutionsopfern zählt, die auf einer Liste des Anatomen Dr. Hermann Stieve stehen.
Unter dem NS-Regime betrieb Dr. Stieve in der Berliner »Charité« spezielle Experimente an weiblichen Geschlechtsorganen.

Nach der Befreiung 1945 konnte Dr. Stieve seine Karriere unbehelligt fortsetzen, zuletzt in Ost-Berlin als Träger des Nationalpreises der DDR.

Überreste seiner Opfer, darunter Rosa HOFMANN und Anna SCHNEIDER, wurden spät entdeckt, konnten erst 2019 auf dem Berliner Dorotheenstädtischen Friedhof beigesetzt werden.

Quellen

  • Taufbuch der Pfarre Hallein
  • Arolsen Archives Online
  • Akte Volksgerichtshof 3. Senat (4 J 444/44)
  • Sabine Hildebrandt: The Women on Stieve’s List. Victims of National Socialism Whose Bodies Were Used for Anatomical Research, in: Clinical Anatomy, 26, 2013, S. 3-21.
  • Johannes Tuchel: Hinrichtungen im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee 1933 bis 1945 und der Anatom Hermann Stieve, Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin 2019
Autor: Gert Kerschbaumer

Stolperstein
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