Emil HIRSCH, geboren am 23. Juni 1922 in Salzburg, war das einzige Kind des jüdischen Ehepaares Marie und Hugo Hirsch, das seit Juni 1916 – es existierte noch die österreichisch-ungarische Monarchie – in Salzburg lebte.

Emils Mutter, geborene Obrist, war Schweizerin. Sein 1873 im Kronland Böhmen der Habsburger-Monarchie geborener Vater war Kaufmann, Wollhändler und Heereslieferant mit mehreren Filialen, somit Inhaber eines florierenden Handelsbetriebes bis 1918.

Zur wirtschaftlichen Situation des Betriebes in den Grenzen der kleinen Republik Österreich schweigen die Quellen. Auch religiöse Funktionen in der jüdischen Gemeinde sind nicht bekannt. Unwahrscheinlich ist jedoch, dass die Familie Hirsch von antisemitischen Anfeindungen unbehelligt blieb.

Die Familie Hirsch hinterließ in Salzburg kaum sichtbare Lebensspuren. Anhand des Melderegisters lässt sich bloß mit Gewissheit sagen, wo die Familie wohnte: zuletzt als Mieterin im Stadtteil Elisabeth-Vorstadt, im Haus Bergheimer Straße 23. Erwähnenswert ist noch das amtliche Abmeldedatum: 21. Februar 1938.

Die Familie Hirsch hatte also wenige Tage nach dem folgenschweren Abkommen von Berchtesgaden, Hitlers Diktat, und drei Wochen vor Beginn der Terror-Herrschaft in Österreich ihren exponierten Wohnort nahe der Grenze zu Deutschland verlassen – unbemerkt von der Öffentlichkeit. Davon sollte auch die Nachwelt nichts erfahren.

Laut der amtlichen Abmeldung übersiedelte die Familie Hirsch mit ihrem damals 15-jährigen Sohn Emil in die C. S. R. (Tschechoslowakische Republik), vermutlich zu Verwandten väterlicherseits nach Karlsbad (Karlovy Vary) oder Prag (Praha). Freiheit und Sicherheit waren dort ebenfalls von kurzer Dauer, weil Deutschland im Oktober 1938 das »Sudetenland« und im März 1939 das übrige tschechische Staatsgebiet besetzte.

Im Dunkeln liegen die Lebensbrüche der Familie Hirsch, ihres 1922 in Salzburg geborenen Sohnes Emil, dessen Geburt gemäß österreichischem Gesetz im Geburtenbuch der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg registriert sein muss: ein längst nicht mehr nachweisbarer Geburtseintrag, weil die jüdischen Geburts- und Trauungsbücher seit dem NS-Regime als verlustig gelten: geraubte Bücher, geraubte Identität der jüdischen Opfer aus Salzburg.

Anhand der Heimatmatrik der Stadt Salzburg kann die Forschung ebenso wenig fündig werden, weil die Familie Hirsch, wie auf dem Meldeschein vermerkt, das Heimatrecht der böhmischen Gemeinde Kosslau (Kozlov) im Bezirk Luditz (Žlutice) besaß. Der Geburts- und Heimatort des Familienvaters lag seit 1918 auf dem Staatsgebiet der Tschechoslowakischen Republik. Anzunehmen ist daher, dass die Familie Hirsch die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft besaß, was auch die Übersiedlung in dieses Land erklärt.

Gemäß dem österreichischen Opferfürsorgegesetz, das nach der Befreiung im Jahr 1947 beschlossen wurde, gehörten die österreichische Staatsangehörigkeit und ein ordentlicher Wohnsitz in Österreich zu den Bedingungen für einen Anspruch auf Opferfürsorge: eine gesetzliche Diskriminierung und Ausgrenzung aller Überlebenden und Hinterbliebenen der Shoah, die in Exilländern lebten. Mangels Opferfürsorgeakten tappt die Forschung im Dunkeln.

Zu bedenken ist noch, dass Emil HIRSCH zu den 192 von 1867 bis 1938 in Salzburg geborenen jüdischen Kindern zählt, wovon nur zwei Überlebende mit österreichischer Staatsbürgerschaft aus Exilländern nach Salzburg zurückkehrten. Emil HIRSCH zählt somit zu den in Salzburg geborenen Juden, die hier mangels österreichischer Quellen acht Jahrzehnte keinen Namen hatten.

Aus tschechischen Quellen geht allerdings hervor, dass Emil HIRSCH 20-jährig am 16. Juli 1942 von Prag (Praha), der Hauptstadt des »Protektorates Böhmen und Mähren« unter deutscher Herrschaft, nach Theresienstadt und von dort am 28. September 1944 nach Auschwitz deportiert wurde.

Des Weiteren ergaben Recherchen, dass Emil HIRSCH am 24. Jänner 1945 in Gleiwitz, entweder in einem Außenlager von Auschwitz oder auf einem von der SS kommandierten Evakuierungs- und Todesmarsch, von sowjetischen Truppen befreit werden konnte – »osvobozeni se dozili«.

Die tschechischen Quellen sagen uns jedoch nicht, ob der bei der Befreiung 22-jährige Emil HIRSCH aus Salzburg auch die Haftfolgen überstand und ob seine in den Deportationslisten nicht aufscheinenden Eltern die Terrorjahre überlebten.

Im März 2019 erhielten wir eine Nachricht aus der Tschechischen Republik: Martina Heranová teilte uns mit, dass Emils Eltern Marie und Hugo Hirsch die Shoah nicht überlebten und dass Emil nach der Befreiung von Auschwitz in Karlovy Vary lebte, den Familiennamen Heran führte und heiratete. Das Ehepaar Anna und Emil Heran bekam einen Sohn, Petr (1949), und zwei Enkelkinder, Martina (1977) und Robert (1978).

Nun wissen wir auch, dass Emil Heran mit seinem Sohn Petr im Jahr 1966, gut zwei Jahrzehnte nach der Befreiung, seine Geburtsstadt Salzburg besuchte und dass er 63-jährig im Jahr 1985 in Karlovy Vary starb. Wir danken seiner Enkelin Martina herzlichst für ihre Informationen und Familienfotos, die wir publizieren dürfen.

Quellen

  • Stadt- und Landesarchiv Salzburg
  • Terezínská pametní kniha. Zidovské obeti nacistick ch deportací z Cech a Moravy 1941–1945 (Theresienstädter Gedenkbuch. Jüdische Opfer der nazistischen Deportation aus Böhmen und Mähren 1941–1945), II, Praha 1995, S. 788
Recherche: Gert Kerschbaumer

Stolperstein
verlegt am 26.09.2018 in Salzburg, Bergheimer Straße 23

<p>HIER WOHNTE<br />
EMIL HIRSCH<br />
JG. 1922<br />
DEPORTIERT 16.7.1942<br />
THERESIENSTADT<br />
28.9.1944 AUSCHWITZ<br />
AUSSENLAGER GLEIWITZ<br />
BEFREIT</p>
Meldeschein des Ehepaares Marie und Hugo Hirsch Meldeschein Emil Hirsch Rückseite des Meldescheines Ehepaar Marie und Hugo Hirsch, Shoah-Opfer
Foto: privat Emil Heran (vormals Hirsch) mit Ehefrau Anna und Sohn Petr (1953)
Foto: privat

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