Lotte SCHÖNE, geboren als Charlotte Bodenstein am 15. Dezember 1891 in der Haupt- und Residenzstadt Wien, war das jüngere von zwei Kindern des jüdischen Ehepaares Josefine, geborene Hilfreich, und Otto Bodenstein, Kaufmann in Wien-Leopoldstadt.

Charlotte Bodenstein nannte sich als Künstlerin Lotte SCHÖNE: abgeleitet von ihrem Ehenamen, wird erzählt. Ihr erster Ehemann hieß Paul Schönwälder und ihr Sohn Kurt wurde am 4. Juli 1913 in Wien geboren, in der Israelitischen Kultusgemeinde registriert.

Zu Jahresbeginn 1914, noch vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, begann Lotte SCHÖNE ihre Laufbahn als Sängerin in Wohltätigkeitskonzerten:

Die junge Konzertsängerin Lotte Schöne, welche bei der Akademie der Wiener Ferienkolonien mit großem Erfolg sang und durch ihre Stimme ebenso wie durch die brillante Schulung auffiel, ist eine Schülerin der bekannten Gesangsmeisterin Frau Professor R. Weisz [Regine Weiß].
Neues Wiener Tagblatt, 27. 3. 1914, S. 16

Unerwähnt blieben die Wiener Gesangsschulen, die Lotte SCHÖNE ebenfalls besuchte: Marie Brossement, Johannes und Luise Ress. Verbürgt ist überdies, dass sie als »Erste Brautjungfrau« in Carl Maria von Webers Freischütz am 18. September 1915 an der Wiener Volksoper debütierte.

Die Suche nach Kritiken während ihres zweijährigen Wirkens an der Volksoper ist jedoch vergeblich. Eine Tageszeitung berichtete immerhin:

Morgen Dienstag geht in der Wiener Volksoper zum ersten Mal in dieser Spielzeit Mozarts Oper ‚Figaros Hochzeit‘ in fast völlig neuer Besetzung in Szene. Die Partie der Gräfin singt Frl. Rantzau, die der Susanne Frl. von Flondor und den Cherubim Frl. Schöne. […]
Wiener Zeitung, 27. 6. 1916, S. 11

Festzuhalten ist, dass Lotte SCHÖNE in rund 30 Produktionen der Wiener Volksoper mitwirkte, am 27. Juni 1916 erstmals als »Cherubino« (Page des Grafen) in Le Nozze di Figaro. Ihren Ruf als brillante Mozart-Sängerin erlangte sie jedoch erst an der Wiener Hof- und Staatsoper.

Am 16. September 1917 gab Lotte SCHÖNE an der Hofoper ihr Debüt als »Papagena« in Mozarts Zauberflöte – ihre am häufigsten gespielte Soubretten-Rolle während ihres neunjährigen Engagements in Wien. 1926 fand sie dank der Empfehlung Bruno WALTERs in Berlin ein festes Engagement.

Mittlerweile war Lotte SCHÖNES Ehe geschieden. Nach ihrem Übertritt zum evangelischen Glauben heiratete sie am 28. Oktober 1921 in der Lutherischen Stadtkirche in Wien den Geschäftsmann Paul Flandrak, der ebenfalls seine Religion gewechselt hatte. Das Ehepaar bekam eine Tochter: Inge Maria.

Am 14. August 1922 gab Lotte SCHÖNE bei den Salzburger Festspielen ihr Debüt als »Zerlina« in Mozarts Don Giovanni unter der musikalischen Leitung von Richard Strauss:

… und unter den Damen bot Frau Schöne als Zerline die ansprechendste Probe einer zarten und doch sehr reichen Begabung. […] Erwin H. Rainalter
Salzburger Volksblatt, 14. 8. 1922, S. 3f.

In den Annalen der Salzburger Festspiele von 1922 bis 1935 ist dokumentiert, dass Lotte SCHÖNE vornehmlich als Soubrette in Mozart-Opern mitwirkte: als »Cherubino« und »Susanna« in Le Nozze di Figaro, als »Despina« in Cosí fan tutte, als »Blondchen« in Die Entführung aus dem Serail, als »Zerlina« in Don Giovanni und als »Pamina« in Die Zauberflöte.

Im Festspielsommer 1933 – unter der autoritären österreichischen Regierung Engelbert Dollfuß – sang Lotte SCHÖNE zum letzten Mal ihre »Pamina«. Bruno WALTER dirigierte die Aufführungen wie in den Vorjahren.

Der Bühnenbildner und Architekt Oskar Strnad führte jedoch erstmals Regie in der Salzburger Zauberflöte – und zwar wenige Wochen nach der an der Wiener Staatsoper neuinszenierten Zauberflöte unter der musikalischen Leitung von Clemens Krauss (Bühnenbild Alfred Roller).

Damit bot sich dem Wiener Musikkritiker David Josef Bach, bis 1933 Leiter der sozialdemokratischen Kunststelle, die einmalige Gelegenheit, die Salzburger Zauberflöte mit der Wiener zu vergleichen:

… Denn, bei allem Respekt für die Wiener Arbeit, die Salzburger Aufführung ist geistig, szenisch und musikalisch die überlegenere. Oskar Strnad hat diesmal nicht als Gestalter der Bühne allein, sondern auch als Spielleiter den Geist des Werkes sichtbar zu machen verstanden. […]
Musikalisch ist die Aufführung unter Bruno Walter der Würde des Gegenstandes ebenso angemessen wie dem Charakter dieser aus allen Quellen des Genies [Mozart] gespeisten Volksmusik. Ein wahres Zauberspiel in jedem Sinne des Wortes wird da entfaltet. […]
Lotte Schöne singt die Pamina ganz außerordentlich schön und mustergültig. Sollte man solch eine Künstlerin nicht für Wien zurückgewinnen können, vor allem als Gesangsmeisterin? […]
Dr. D. J. Bach.

Arbeiter-Zeitung, 21. 8. 1933, S. 3

Der Musikkritiker David Josef Bach wusste, dass Lotte SCHÖNE als Jüdin im Juni 1933 aus dem nationalsozialistischen Berlin vertrieben wurde. Die Wiener Staatsoper zeigte jedoch kein Interesse an Lotte SCHÖNE, sodass sie mit ihrer Familie nach Paris zog.

Im Festspielsommer 1933 hatte Lotte SCHÖNE allerdings noch Auftritte als »Feenkönig« in Carl Maria von Webers romantischer Oper Oberon, die ebenfalls Bruno WALTER musikalisch leitete. Als Bruno WALTER am 2. August 1933 im Großen Saal des Mozarteums die 4. Sinfonie Gustav Mahlers dirigierte, sang Lotte SCHÖNE das Sopransolo – aber mit keiner guten Kritik.

Triumphe feierte Lotte SCHÖNE vornehmlich als Mozart-Sängerin unter dem Dirigenten Bruno WALTER sowohl in Paris, erstmals im Frühsommer 1928 bei den Mozart-Festspielen (Cycle de Mozart) an der Opéra Comique, als auch in Salzburg, zuletzt in den Festspielsommern 1934 und 1935 in Don Giovanni mit Lorenzo da Pontes Libretto in italienischer Sprache.

Bei ihrem letzten Salzburger Auftritt als »Zerlina« in Don Giovanni erschien im Neuen Wiener Journal ein Interview:

… Die berühmte Salzburger Aufführung von ‚Don Giovanni‘ ist italienisch, wie schon die Vermeidung des gebräuchlicheren Titels ‚Don Juan‘ zeigt, und selbstverständlich singe ich in dieser Vorstellung die Zerline auch in der Originalsprache des Textes.
Unter lauter berühmten italienischen Sängern fühle ich mich, obwohl Deutsch meine Muttersprache ist, sehr wohl, denn in fünfzehn Jahren meiner Bühnenlaufbahn habe ich meine künstlerische Heimat dreimal wechseln und in vielen Sprachen singen müssen! […]

Neues Wiener Journal, 28. 8. 1935, S. 11

Im Pariser Exil hatte Lotte SCHÖNE kein festes Engagement, doch einige viel beachtete Auftritte: beispielsweise als »Adele« in der von Max REINHARDT Ende 1933 im Théâtre Pigalle inszenierten Wiener Operette Die Fledermaus oder als »Marzelline« in Fidelio und als »Zerlina« in Don Giovanni im Juni 1936 unter Bruno WALTER an der Grand Opéra.

Ihre angekündigte Mitwirkung in Konzerten mit dem Palestine Orchestra, von Bronislaw Huberman gegründet (seit 1948 Israel Philharmonic Orchestra), kam allerdings nicht zustande.

Lotte SCHÖNE hatte noch vereinzelte Auftritte in Paris bis zur Besetzung durch das nationalsozialistische Deutschland im Juni 1940.

Danach lebte sie mit ihrer Familie, ihrem Bruder Moritz und ihren aus Wien geflüchteten Eltern in Nizza, in der zunächst vom französischen Vichy-Regime verwalteten und dann ebenfalls besetzten »Zone libre«.

Dank der Hilfe französischer Freunde konnte Lotte SCHÖNE, getarnt als Lucienne Sorbier, in entlegenen Orten Südfrankreichs die Kriegsjahre überstehen. Nach der Befreiung lebte sie mit ihrer Familie einschließlich ihres Sohnes Kurt wieder vereint in Paris.

Kurts Vater Paul Schönwälder hatte im Mai 1938 in Wien Suizid begangen.

Lotte SCHÖNE gab im befreiten Frankreich wieder Konzerte, sodann im Rahmen der »Expansion culturelle française« auch in Deutschland und Österreich, erstmals nach der Befreiung im September 1946 in Wien:

Lotte Schöne, der ehemalige Koloratursopran der Wiener Staatsoper und Publikumsliebling, war nach langjähriger Abwesenheit über Einladung der ‚Expansion culturelle‘ wieder in Wien zu hören. Sie sang ein kultiviertes Programm aus österreichischem und französischem Liederschaffen, das Mozart, Schubert, Duparc und Debussy umfaßte. […]
Trotz Behinderung durch Indisposition errang die Künstlerin freundlichen Erfolg, der auch in hübschen Blumenspenden Ausdruck fand. Am Flügel begleitete verständnisvoll Claire Lipmann.
Dr. E. Herzog

Die Weltpresse, 26. 9. 1946, S. 6

Über die Bedrängnisse, die vertriebene Juden unter dem rassistischen Terror in Frankreich zu erleiden hatten, verlor die österreichische Presse kein Wort.

Als Lotte SCHÖNE im Februar 1948 in einem Festival in Cannes an der Côte d’Azur Walzerlieder der Brüder Johann und Josef Strauß sang, erschienen in Österreich überaus freundlich gestimmte Berichte.

1948 wird Lotte SCHÖNE französische Staatsbürgerin. Sie stirbt 86-jährig am 22. Dezember 1977 in Bobigny bei Paris.

Im öffentlichen Raum ihrer ehemaligen österreichischen Wirkungsorte existiert ihr Name nicht.

Quellen

  • Israelitische Kultusgemeinde Wien
  • Stadt- und Landesarchiv Wien
  • Archiv der Salzburger Festspiele
  • ANNO: Austrian Newspapers Online
  • André Tubeuf: Lotte Schöne, in: The Record Collector Volume XX, No. 4, Ipswich 1971
Autor: Gert Kerschbaumer

Stolperstein
verlegt am 17.08.2020 in Salzburg, Max-Reinhardt-Platz

<p>HIER WIRKTE<br />
LOTTE SCHÖNE<br />
JG. 1891<br />
SÄNGERIN<br />
FLUCHT<br />
FRANKREICH<br />
MIT HILFE ÜBERLEBT</p>
Lotte Schöne
Quelle: www.wikidata.org

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