… Mit wem haben wir dort nicht herzliche Stunden verbracht, von der Terrasse hinausblickend in die schöne und friedliche Landschaft, ohne zu ahnen, dass gerade gegenüber auf dem Berchtesgadener Berg der eine Mann saß, der all dies zerstören sollte?
Romain Rolland hat bei uns gewohnt und Thomas Mann …

Wehmütige Worte Stefan ZWEIGs aus der Ferne des amerikanischen Exils. Seltsam ist allerdings, dass er in seinem Erinnerungsbuch Die Welt von Gestern kein einziges Mal seine erste Frau Friderike ZWEIG-WINTERNITZ erwähnt, obschon beide in ihrem Haus in Salzburg, Kapuzinerberg 5, in der vielgepriesenen »Villa Europa«, herzliche Stunden mit lieben Freunden und illustren Nobelpreisträgern verbracht hatten.

Stefan ZWEIG, am 28. November 1881 in der Haupt- und Residenzstadt Wien geboren, war der jüngere von zwei Söhnen des jüdischen Ehepaares Ida, geborene Brettauer, und Moritz ZWEIG.
Stefans Mutter, im italienischen Ancona geboren, stammte aus einer großbürgerlichen Kaufmanns- und Bankiersfamilie mit Wurzeln in der jüdischen Gemeinde Hohenems.

Stefans hebräischer Zweitname lautet Samuel, offensichtlich zu Ehren seines verstorbenen Großvaters Samuel Brettauer aus Hohenems. Stefans Vater Moritz ZWEIG, geboren in der mährischen Kleinstadt Proßnitz (Prostějov) bei Olmütz (Olomouc), war Textilfabrikant, der es in der langen Friedensära der österreichisch-ungarischen Monarchie verstanden hatte, eine kleine Weberei in Böhmen zu einem Industriebetrieb zu machen.

Er starb 1926 in Wien, bestattet in der israelitischen Abteilung des Zentralfriedhofs. Stefans älterer Bruder Alfred ZWEIG war dazu berufen, das in der Monarchie florierende und nach ihrem Zerfall schrumpfende Familienunternehmen zu leiten.

Stefan ZWEIG, 22-jährig im Jahr 1904 an der Universität Wien zum Doktor der Philosophie promoviert (Dissertation »Die Philosophie des Hippolyte Taine«), hatte sich als Lyriker, Novellist, Feuilletonist und Dramatiker schon einen Namen gemacht, als er im Jahr 1912 die verheiratete Friderike Maria von Winternitz kennenlernte, die als »Maria von W.« brieflich Kontakt gesucht hatte.

Sie bekundete ihre literarischen Ambitionen – »ich dichte auch« – sowie ihre Sehnsucht nach einem Dichterleben in Zweisamkeit, fern von Beziehungsquerelen. Gewiss ist, dass ihre Romane Traummenschen, Der Ruf der Heimat und Vögelchen dank der Vermittlung Stefan ZWEIGs – ihr literarischer »Geburtshelfer« – publiziert werden konnten, ehe die beiden ein Ehepaar waren.

Friderike, geborene Burger, am 4. Dezember 1882 in Wien geboren, war das letzte von sieben Kindern des jüdischen Ehepaares Therese, geborene Feigel, und Emanuel Burger, der Generalsekretär einer Versicherung war, beide bestattet in der israelitischen Abteilung des Wiener Zentralfriedhofs.

Ihre Tochter Friderike besuchte ein privates Mädchen-Lyzeum in Wien, ein Universitätsstudium blieb ihr allerdings verwehrt. 22-jährig wechselte sie ihre Religion. Seit ihrer katholischen Taufe in der Michaelerkirche lautet ihr zweiter Vorname Maria. Im Jahr darauf wurde sie mit dem ebenfalls zum katholischen Glauben konvertierten Finanzbeamten Felix von Winternitz in der Michaelerkirche getraut.

Das Paar hatte zwei Töchter, die in Wien zur Welt kamen: die am 23. Juni 1907 geborene Alexia Elisabeth (Kosenamen Alix, Lix) und die am 18. Februar 1910 geborene Susanna Benediktine (Kosename Suse), beide katholisch getauft. Die in die Brüche gehende Ehe ihrer Eltern wurde zwar im Mai 1914 zivilrechtlich annulliert, sie blieb jedoch kirchenrechtlich aufrecht – über das Ende der Monarchie und ihres Krieges hinaus.

Der Erste Weltkrieg begann bekanntlich mit der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien. Von Dezember 1914 bis November 1917 diente Stefan ZWEIG als Schriftsteller im k. u. k. Kriegsarchiv mit spezieller Aufgabe: Heroisierung des Krieges – »Heldenfrisieren«. Derweilen schrieb ZWEIG sein Antikriegsdrama Jeremias mit der Widmung »Friderike Maria Winternitz dankbarst, Ostern 1915 – Ostern 1917«.

Im Herbst des Kriegsjahres 1917 eilte seine Lebenspartnerin nach Salzburg, um zu erkunden, ob der in Inseraten angebotene »vornehme Herrensitz« auf dem Kapuzinerberg auch jenes inmitten von Bäumen stehende Traumschlösschen sei, das sie bei ihrem ersten gemeinsamen Aufenthalt in Salzburg bestaunt hatten.
Am 27. Oktober 1917 unterzeichnete Dr. Stefan ZWEIG den Kaufvertrag über die 7.816 m2 große Liegenschaft Kapuzinerberg 5 mit Haus, Garten und Wald. Er hatte 90.000 Kronen in barem Geld zu bezahlen.

Sein künftiges Refugium entpuppte sich als Sanierungsfall, ein kaputtes Dach und anderes mehr, wie sich bei der Besichtigung im November 1917 herausstellte. Zu dieser Zeit bot sich eine andere, eine bessere Option: ein Aufenthalt mit seiner Partnerin und ihren Kindern in der neutralen Schweiz, die den Kriegsgegnern und Revolutionären als Fluchtpunkt diente. Am 27. Februar 1918 hatte ZWEIGs Drama Jeremias in Zürich Premiere.

Nach dem Ende des Krieges erhielt Ida ZWEIG von ihrem mittlerweile 37-jährigen Sohn Stefan die Nachricht, dass er Frau Winternitz zu heiraten gedenke und fortan in Salzburg leben wolle.

Nach ihrer Ankunft im März 1919 konnte das Haus auf dem Salzburger Stadtberg dank der energischen Partnerin bewohnbar gemacht werden: ein dichtes Dach, eine Verbindung zur Außenwelt: Telefon Nr. 598.
Alsbald funktionierte das meiste. Der Hausherr konnte seinem deutschen Verlag die neue Adresse melden: Dr. Stefan ZWEIG, Kapuzinerberg 5.

Dorthin gelangt man entweder auf der Kapuzinerstiege oder auf dem steilen Fahrweg entlang den Kreuzwegstationen, die beim Kapuzinerkloster enden. Schräg gegenüber, hinter einem verschlungenen Garten mit alten Bäumen liegt das einstige Jagdschlösschen der Fürsterzbischöfe, auch Paschingerschlössl genannt. Es hat drei Etagen, einen langen und schmalen Grundriss. Das Haus wirkt daher von außen größer als es tatsächlich ist.

Die Herrschaften logierten ganz oben, in der Beletage. Auf der Westseite waren Stefan ZWEIGs Intimräume, davor die große Terrasse mit schöner Aussicht, rechts davon der Rokokosaal, ein Salon mit der Panoramatapete »Monumente von Paris« aus dem Atelier Joseph Dufour, angrenzend das Badezimmer. Auf der Ostseite der oberen Etage lagen die Räume der Partnerin und ihrer Töchter.

Die mittlere Etage fungierte als Speisesalon und Bibliothek, gelegentlich als Gästequartier. Ein spezielles Gästezimmer existierte nicht. Das Tiefparterre oder Souterrain auf der Westseite diente der Versorgung, war aber seit April 1919 auch von uniformierten Mietern bewohnt: Polizisten, die dem abseitig liegenden Haus respektablen Schutz zu bieten vermochten.

Da die Ehegesetze der österreichischen Monarchie weiterhin gültig waren, hatte die zivilrechtlich geschiedene, aber nach katholischem Recht nach wie vor verheiratete Frau Winternitz um staatliche Befreiung oder Nachsicht (Dispens) von Ehehindernissen zu bitten – mit folgender Begründung: Sie wolle sich mit dem Schriftsteller Dr. Stefan ZWEIG vermählen, damit die Möglichkeit eines nach herrschenden Begriffen sittlichen Zusammenlebens geschaffen und ihren Kindern aus ihrer geschiedenen Ehe wieder väterliche Obhut und Familienleben vergönnt werde.

Diesem Gesuch der Frau Winternitz wurde vonseiten der Salzburger Landesverwaltung, die noch auf die mächtige Stimme der katholischen Kirche hörte, nicht stattgegeben. Nach der folgenden amtlichen Abweisung der Berufung hatte sich damit das Innenministerium als höhere Instanz in Wien zu befassen (der zuständige Beamte war mit Stefan ZWEIG befreundet): »Die erbetene Nachsicht ist hiermit erteilt«. Einer »Dispensehe« stand somit kein Paragraph mehr im Wege.

Sogleich stellte Friderike Winternitz im Namen des Hauseigentümers Dr. Stefan ZWEIG ein Gesuch an den Magistrat der Stadt Salzburg: »Gefertigter beabsichtigt an Stelle des alten verrosteten Einfriedungsgitters auf seinem Besitze Kapuzinerberg 5 ein einfaches schmiedeeisernes Gartentürl mit Conglomerat-Säulen wie laut beiliegender Skizze ersichtlich zu errichten«.

Dafür gab es keine rechtlichen Hindernisse. Die bald errichtete Pforte zur Villa ZWEIG war das Hochzeitsgeschenk der resoluten Frau für ihren künftigen Mann – eine katholisch getaufte Jüdin und ein Jude als Paar, das nicht in der Kleinstadt Salzburg, sondern diskret im Wiener Rathaus zu heiraten gedachte.

Ziviltrauungen waren außerdem in der Hauptstadt Wien gang und gäbe. Der Bräutigam musste aber allein nach Wien reisen, »leider ganz unweiblich begleitet«, da seine Braut die Zeremonie kein weiteres Mal erleben und gesellschaftliche Verpflichtungen meiden wollte.
Ihr gemeinsamer Freund Felix Braun hatte die Vollmacht, das Jawort der Braut sagen zu dürfen. Mit ihrem Stellvertreter, ihrem Bräutigam und ihren Trauzeugen Eugen Antoine und Hans Prager standen daher am 28. Jänner 1920 nur Männer vor einem Magistratsbeamten, der auch diese seltsame Trauung förmlich vollzog und dem Brautpaar viele Kinder wünschte.

Dabei erlaubte sich der Bräutigam zu lachen. Seiner ferngetrauten Ehefrau in Salzburg war nicht zum Lachen zumute, als sie lesen musste, dass eine Zugsperre die sofortige Heimreise ihres Ehemannes verhindere. Schon der erste Brief der frisch vermählten Frau ZWEIG zeigt, dass sie es zu verstehen wusste, ihre Gefühle hinter einer Maske aus Humor und Witz zu verbergen: »Mein Lieber, wie hast Du die Hochzeitsnacht verbracht?«

Trotz aller Querelen im Haus Kapuzinerberg 5 waren Friderike und Stefan ZWEIG besorgte Familienmenschen, die sich um schwierige Verwandte und speziell um Alix und Suse im gemeinsamen Haus kümmerten, doch ihre Erziehungsprinzipien standen zueinander im Widerstreit: Bindung gegen Selbständigkeit.

Die Mutter umhegte stets ihre Töchter, denen ihr leiblicher Vater früh entzogen worden war. »Stefzi« – Kosename ihres Ziehvaters – konnte sich kaum Gehör verschaffen. Seine Gattin und ihre jungen Töchter erlaubten sich sogar, das lokale Gesellschaftsleben zu genießen, was der sich verweigernde Hausherr wirsch als »Salzburgerei« abtat.

Als Stefan ZWEIG seinen 40. Geburtstag in Berlin feierte, schrieb ihm seine zu Hause weilende Gattin, dass er bald ihren neuen Roman – ihren vierten, der nie publiziert wurde – zu lesen bekomme.
Ihr Roman sei »stellenweise persönlich und das könnte Dich eventuell etwas verletzen, wie mich dies in Deiner letzten Novelle auch nicht angenehm berührt hat«.

In seiner letzten, schon in Salzburg entstandenen Novelle Brief einer Unbekannten findet sich das Bekenntnis einer jungen Frau, die einem beziehungsunfähigen Wiener Schriftsteller nachstellt, mit ihm drei Nächte erlebt und dann von ihm nicht mehr erkannt wird:

Ich klage Dich ja nicht an, Du hast mich nicht gelockt, nicht belogen, nicht verführt – ich, ich selbst drängte zu Dir, warf mich an Deine Brust, warf mich in mein Schicksal …

Worte der namenlosen Frau, die Friderike ZWEIG verletzen mussten. Hatte sie doch ein Jahrzehnt davor in einem anonymen Brief den bindungsscheuen Schriftsteller Stefan ZWEIG um Kontakt gebeten und in ihrer schwierigen Beziehung die aktive Rolle übernommen.

Die vielen Briefe Friderike ZWEIGs an ihren hausflüchtigen Mann – auf Lese- und Arbeitsreisen – bezeugen, dass sie sich als Schriftstellerin in der Männerdomäne verkannt und in den Schatten ihres berühmten Mannes gedrängt fühlte – mit zunehmendem Leidensdruck.
Beide Ehepartner waren Persönlichkeiten, doch ungleicher Art. Die Frau hatte mäßigen literarischen Erfolg, ließ es sich aber nicht nehmen, auf das Schreiben ihres Mannes einzuwirken, ihn zu Arbeiten wie Jeremias und Erasmus zu ermuntern und ihn in seiner politischen und religiösen Enthaltsamkeit zu bestärken.

Die Dichtergattin, die dem Haus Kapuzinerberg 5 die Seele gab, konnte aber auch im Literaturbetrieb kräftig mitmischen. Briefe aus ihrer Salzburger Zeit widerspiegeln die beispiellose, in Salzburg aber kaum wahrgenommene Erfolgsserie eines Österreichers in Deutschland. Dort erschienen bis zum Gewaltjahr 1933 über 1,3 Millionen Bücher Stefan ZWEIGs.

Sein Werk war außerhalb der deutschen Grenzen in mehr als zwei Dutzend Sprachen verbreitet – ein weltberühmter Schriftsteller, dessen Bücher am 10. Mai 1933 in deutschen Universitätsstädten und am 30. April 1938 im mittlerweile ebenfalls nationalsozialistischen Salzburg verbrannt wurden – Gewaltakte, die nicht aus heiterem Himmel kamen.

Obschon sich Stefan ZWEIG an seinem Lebens- und Arbeitsort weder religiös noch politisch exponierte, war er bereits in den 1920er Jahren Anfeindungen ausgesetzt. Damit jeder Antisemit in der Kleinstadt Salzburg wusste, wer Jude war, erschienen in der Zeitschrift des österreichischen Antisemitenbundes, im Eisernen Besen, wo Nationalsozialisten und Christlichsoziale als Scharfmacher konkurrierten, laufend Listen mit den Namen Salzburger Juden von A bis Z, deren Existenz es zu vernichten galt. Darüber hinaus wurde ZWEIG einige Male gesondert vom antisemitischen Hetzblatt attackiert.

Ein Pamphlet über ZWEIGs erotische Literatur mündete im kaum verhüllten Aufruf, der Dichter möge aus seinem Leben scheiden. Ein Verbrechen, das ZWEIG in den Augen der Rassisten beging, war seine Teilnahme an der Tolstoi-Feier in der Sowjetunion: »Die Weltpest. Offener Brief an Stefan Zweig«.

Unbekannt blieb hingegen der antisemitischen Öffentlichkeit, dass Österreichs Staatspolizei ein Dossier anlegte: »Z.« huldige seit seiner Reise nach Sowjetrussland linksradikalen Tendenzen. Man wusste jedenfalls, dass Stefan ZWEIG mit den Schriftstellern Maxim Gorki und Romain Rolland befreundet war und zudem gute Kontakte zu österreichischen Sozialdemokraten unterhielt.

1933 mutierten zwei Demokratien zu Diktaturen, zuerst Deutschland, bald darauf Österreich, hier allerdings unter christlichsozialer Führung. Ihr letzter legaler Gegner, die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Österreichs, wurde am 12. Februar 1934 zerschlagen – nach blutigen Kämpfen, die überall in Wien zu hören waren. Ein Zeitzeuge war Stefan ZWEIG, der nach seinem Wien-Aufenthalt nach Salzburg zurückkehrte, wo keine Kämpfe stattfanden.

Die österreichische Staatsmacht behauptete jedoch, die Landeshauptstadt Salzburg wäre ebenfalls massiv bedroht gewesen: Der Republikanische Schutzbund als bewaffneter Arm der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei hätte geplant, die Stadtbrücken von den Höhen des Kapuzinerberges aus zu beschießen – ein fiktives Bedrohungsszenario, das der österreichischen Diktatur als Rechtfertigung für Verhaftungen und Suche nach Waffendepots diente.

Verbürgt ist, dass in Stefan ZWEIGs Haus ein Polizeibeamter als Mieter fünfzehn Jahre ein und aus ging. Wie konnte denn auf dieses bewachte Haus ein Verdacht fallen?
Ohne begründeten Verdacht und richterlichen Befehl durchsuchten am Morgen des 18. Februar 1934 vier österreichische Polizisten das Haus Kapuzinerberg 5 nach Waffen des Republikanischen Schutzbundes – im Beisein des Hausherrn, der den rechtswidrigen Akt als Verletzung seiner bürgerlichen Rechte und Privatsphäre, als Bedrohung seiner persönlichen Freiheit empfand.

Stefan ZWEIG kehrte seinem Lebensort Salzburg den Rücken, reiste zunächst nach Paris, wo er sich gegenüber seinem Freund Joseph Roth pessimistisch über Österreichs Zukunft äußerte, und dann weiter nach London. Dort bekam er zu hören, dass ihn österreichische Staatsorgane beschuldigten, Gräuelpropaganda gegen Österreich zu betreiben und linksradikalen Tendenzen zu huldigen – ein unerträgliches Klima der Verdächtigungen.

Stefan ZWEIG war fest entschlossen, seinen ständigen Wohnsitz nach London zu verlegen. Er ließ sich daher noch im Februar 1934 als Einwohner und als Steuerzahler der Stadt Salzburg abmelden. Er war überdies nicht mehr gewillt, mit seiner Frau und ihren schon erwachsenen Töchtern Alix und Suse zusammenzuleben, weder in Salzburg noch in London.

Im Mai 1934 engagierte der mittlerweile 52-jährige Schriftsteller eine Sekretärin, die 26-jährige Lotte Altmann, eine nach London geflüchtete deutsche Jüdin. Die beiden waren bald ein Liebespaar. Das konnte der verlassenen Ehefrau in Salzburg nicht lange verborgen bleiben. Schritt um Schritt brechen Haus und Ehe entzwei.

Stefan ZWEIG, dessen Vermögen durch das Bücherverbot in Deutschland spürbar schrumpfte, betrachtete das von ihm seit Februar 1934 unbenutzte Haus in Salzburg nur mehr als finanzielle Belastung.
Der Verkauf zog sich aber in die Länge: Im April 1937 akzeptierte er das Angebot der Salzburger Kaufmannsfamilie Gollhofer: Kaufpreis 63.000 Schilling, 40.000 Schilling fällig bei Vertragsabschluss, 23.000 Schilling mit 5 % Verzinsung binnen zwei Jahren (spätestens am 1. Juni 1939 zu begleichen).

Am 4. Mai 1937 reiste ZWEIG zur Unterzeichnung des Vertrages nach Salzburg, nächtigte aber nicht im mittlerweile geräumten Haus auf dem Kapuzinerberg, sondern im bescheidenen Hotel Traube in der Linzer Gasse – sein letzter Aufenthalt in Salzburg.
In der Zwischenzeit hatte er schon seine Autografensammlung großteils verkauft und die ihm verbliebenen Autografen, wertvollen Bücher, seine Beethoven-Reliquien wie Sekretär, Schreibpult, Geldkassette und Haarlocke nach London schicken lassen.

Friderike ZWEIG, die ihre an Salzburg hängenden, noch ledigen Töchter, damals 30 bzw. 27 Jahre alt, nicht alleinlassen wollte, mietete im Mai 1937 eine Villa mit Garten im Stadtteil Nonntal. Bei ihrem Einzug erhielt sie von ihrem Ehemann ein Liebesgeschenk: Goethes Mailied.

Außerdem bezahlte er die Jahresmiete für die Villa, die seine Frau aber nur etwa sieben Monate bewohnte, da sie von ihrer Reise ins Ausland aus politischen Gründen nicht mehr zurückkehren konnte.

Anfang 1938 reisten Friderike ZWEIG und ihre jüngere Tochter Suse WINTERNITZ, von Beruf Pressefotografin, nach Paris. Ein dreimonatiger Aufenthalt war geplant. An eine Rückreise war aber nach der Auslöschung Österreichs am 12. März 1938 nicht mehr zu denken.

Die in Salzburg verbliebene Alix WINTERNITZ musste allerdings den Terror miterleben. Es gelang ihr noch, die Wohnung ihrer Mutter zu räumen, Möbel, Bücher und Wertsachen zu verpacken und in Erwartung einer Ausfuhrerlaubnis in einer Spedition einzulagern.
Diese Güter wurden aber von der Gestapo beschlagnahmt und am 18. und 19. November 1940 in Salzburg öffentlich versteigert.

Somit verlor Friderike ZWEIG in Salzburg ihr gesamtes Vermögen: Sparguthaben, Wertpapiere, Familienschmuck, Tafelgeschirr, Möbel, Teppiche, Bilder, Bibliothek, etwa 600 Bücher und Manuskripte wie Jeremias mit Widmungen Stefan ZWEIGs sowie das Gästebuch des Hauses Kapuzinerberg 5, ihres gemeinsamen Lebensmittelpunktes.
Auch Stefan ZWEIGs Bankguthaben, das er wegen der strengen Devisengesetze nicht ins Ausland überweisen konnte, wurde vom NS-Regime gesperrt und geraubt: 73.408 Schilling, darunter der Erlös aus dem Verkauf des Hauses Kapuzinerberg 5.

Stefan ZWEIG hatte schon nach dem Hausverkauf kein Verständnis für die Verbundenheit seiner Frau mit Salzburg. Noch am 1. Mai 1938, als Friderike ZWEIG längst nicht mehr in Salzburg wohnte, empörte er sich:

Ich überließ ihr alle Möbel, alle Bilder, Bücher und verkaufte das Haus. Wo aber nahm sie sich ein anderes Haus?
Ausgerechnet in Salzburg, der größten Nazi-Stadt, der Stadt, die mich erniedrigt hatte – und der Stadt, die gestern als erste in Österreich unsere Bücher verbrannt hat.

Die von Stefan ZWEIG erwähnte Bücherverbrennung am Abend des 30. April 1938 auf dem Salzburger Residenzplatz gegenüber dem Dom war jedenfalls die einzige groß inszenierte im nationalsozialistischen Österreich. Ihr Inszenator hieß Karl Springenschmid, Lehrer und Schriftsteller, der auch den Feuerspruch schmiedete:

Ins Feuer werf‘ ich das Buch des Juden Stefan Zweig, dass es die Flammen fressen wie alles jüdische Geschreibe …

Angesichts der Gewaltakte in Salzburg fühlte sich Stefan ZWEIG in seinem Verhalten gegenüber seiner Ehefrau Friderike bestätigt, drängte nun aber auf Ehescheidung, verbunden mit der Absicht, sich wieder zu verheiraten und mit Lotte in Großbritannien einbürgern zu lassen.
Er war allerdings bis zuletzt auf Schonung seiner kranken und im nationalsozialistischen Wien gefährdeten Mutter bedacht.

Am 23. August 1938 starb Ida ZWEIG 84-jährig an Herzlähmung in ihrer Wohnung, bestattet in der israelitischen Abteilung des Wiener Zentralfriedhofs, im Grab ihres Ehemannes. Es schmerzte die Brüder Alfred und Stefan ZWEIG, dass sie ihrer Mama nicht beistehen und von ihr nicht Abschied nehmen konnten.

Friderike ZWEIG, die in Salzburg um ihre Ehe gekämpft hatte, resignierte im Exil. Sie wollte aber in eine Scheidung erst dann einwilligen, wenn sich ihr Ehemann verpflichtet, ihr eine Rente zu zahlen und sein Alleinverschulden einzugestehen.
Wo aber konnte nach damaliger Rechtslage ein Ehepaar geschieden werden, das getrennt im Exil lebte, in Paris die nach den Nürnberger Rassengesetzen als Jüdin geltende Frau und in London ihr Mann, bekanntlich Jude? Weder in Paris noch in London, sondern an ihrem letzten gemeinsamen Wohnsitz, ihrem ehemaligen Lebensmittelpunkt: Salzburg, seit dem 12. März 1938 unter nationalsozialistischer Herrschaft.

Am 1. September 1938 wurde Friderike ZWEIGs Klage auf Ehescheidung beim zuständigen Gericht in Salzburg eingereicht. Rechtsanwälte sorgten dafür, dass die Klägerin und ihr beklagter Ehemann nicht persönlich zu den Verhandlungen erscheinen mussten. Es genügte dem Gericht, dass die noch in Salzburg anwesende Alix WINTERNITZ das Alleinverschulden Stefan ZWEIGs glaubhaft bezeugen konnte.

Demgemäß wurde die Ehe am 22. November 1938 am Landesgericht Salzburg »im Namen des deutschen Volkes« geschieden (rechtskräftig am 24. Dezember 1938).
Das Gericht verrechnete 177,27 Reichsmark an Verfahrenskosten, die Stefan ZWEIG als Schuldiger zu bezahlen hatte.

Friderike und Stefan ZWEIG vermieden in ihren Memoiren jeden Hinweis darauf, dass ihre Ehe in Salzburg, »der größten Nazi-Stadt«, noch dazu in der Zeit der Pogrome, geschieden wurde.

Unbekannt blieben daher auch die Erlebnisse und Erfahrungen der damals 31-jährigen Alix WINTERNITZ, »Jüdin« laut Polizeimelderegister der Stadt Salzburg. Im Jänner 1939 gelang es ihr, zu ihrer Mutter nach Paris zu reisen, begleitet von ihrem jüdischen Freund Dr. Herbert Carl Störk, Arzt aus Wien.

Die beiden heirateten am 8. Juli 1939 in Paris. Bekannt ist noch, dass Alix ein Köfferchen mit Briefen bei Friderike ZWEIGs vertrauter Salzburger Freundin Josefine Junger im Haus Makartplatz 6 deponiert hatte – während der NS-Herrschaft gut versteckt: gerettete, später veröffentlichte Briefe aus ihrer Salzburger Zeit. Die Rettung von Menschen hatte allerdings Vorrang unter dem NS-Regime.

Am 6. September 1939, kurz nach Kriegsbeginn, heirateten die 31-jährige Lotte Altmann und der 57-jährige Stefan ZWEIG im englischen Kurort Bath.
Nachdem beide die britische Staatsbürgerschaft erhalten hatten, reisten sie in die USA, Ankunft am 30. Juni 1940 in New York. Von dort konnte Stefan ZWEIG mit seiner geschiedenen Frau Friderike, die im besetzten Frankreich gefährdet war, telegrafisch in Verbindung treten.

Am 14. Juni 1940, knapp vor der deutschen Besetzung von Paris, flüchtete die Familie ZWEIG-WINTERNITZ, Mutter, Töchter und ihre Partner, in den Süden Frankreichs, nach Montauban.
Dort heirateten am 13. August 1940 Suse WINTERNITZ und ihr langjähriger Freund Karl Höller, Fotograf und Filmemacher aus Salzburg, der kein Jude war, vielmehr aus Liebe ins Exil mitging.
In Marseille, wo das amerikanische Rettungsnetzwerk Emergency Rescue Committee unter Varian Fry aktiv war, erhielt die Familie Visa und Affidavits (Bürgschaften) für die USA – dank der Initiative Stefan ZWEIGs und der ebenfalls in den USA lebenden Verwandten Friderike ZWEIGs.

Ausgestattet mit den lebenswichtigen Papieren gelang es der Familie im September 1940, die Pyrenäen zu überqueren und rasch durch das faschistische Spanien nach Lissabon zu reisen, wo eine Schiffspassage in die freie Welt reserviert war.
Ein Blick auf die Passagierliste des am 4. Oktober 1940 in Lissabon auslaufenden Dampfers Nea Hellas zeigt, dass bei jedem Familienmitglied »Hebrew« vermerkt ist.

Friderike ZWEIG, ihre Töchter und Schwiegersöhne erreichten New York am 13. Oktober 1940, begrüßt von lieben Verwandten, von ihrer Schwester Poldi und ihrem Bruder Karl samt Familien.

Am 23. Jänner 1941 begegneten einander Friderike und Stefan ZWEIG unverhofft im Wolkenkratzer Broadway No. 25. Friderike erhielt von ihrem geschiedenen Mann die schriftliche Bestätigung für ihre Altersrente.
Als ihn Friderike über die Zwangsversteigerung ihrer Lebensreliquien in Salzburg informierte, gab er in lakonischer Kürze eine Antwort, die sich bewahrheiten sollte: »Es ist fast besser, alles schon glatt verloren zu wissen, statt darum jahrelang zu kämpfen und es doch zu verlieren«.

Stefan ZWEIG sollte zeit seines Lebens nicht erfahren, dass ihm sein in der Habsburger Monarchie erworbener Doktortitel am 8. Mai 1941 von der Universität Wien wegen »Unwürdigkeit« aberkannt wurde.1

Bekannt ist aber, dass Stefan ZWEIG tiefe Besorgnis um seine in Europa gefährdeten Freunde empfand. Erhielt er eine Todesnachricht, vermutete er gleich Suizid. Als er in Ossining bei New York an seinem Erinnerungsbuch arbeitete, litt er unter schweren Depressionen.

Auch seine davon betroffene Frau Lotte sah keinen anderen Ausweg als eine Flucht nach Südamerika: Ankunft am 27. August 1941 in Rio de Janeiro, am 17. September 1941 in Valparaiso, einem Vorort von Petropolis, 813 Meter über dem Meer, wo er noch vor seinem 60. Geburtstag seine Autobiografie Die Welt von Gestern abschließen konnte und dann – in der Überzeugung, vom Weltkrieg verfolgt zu werden – seine Schachnovelle schrieb, bis zuletzt daran feilte – sein literarisches Vermächtnis.

Am Montag, dem 23. Februar 1942 – nach der Einnahme einer giftigen Substanz, »ingestao de substancia toxica«, wie der die Totenscheine ausstellende Arzt festhielt – schieden Lotte und Stefan ZWEIG in ihrem gemieteten Haus, 34 rua Goncalves Dias, aus dem Leben.

Am folgenden Tag wurden ihre Leichname auf Order der brasilianischen Regierung mit offiziellen Ehren auf dem kommunalen Friedhof von Petropolis bestattet – allerdings nach jüdischem Ritus.

Friderike erhielt einen mit 22. Februar 1942 datierten Abschiedsbrief ihres geliebten Stefan. Er hinterließ ihr Mozarts Partitur Das Veilchen (ein Goethe-Gedicht): Das Veilchen sehnt sich nach Liebe, wünscht die schönste Blume zu sein und immer begehrenswert. Es möchte gepflückt werden, wird aber übergangen, sogar zertreten – Erfüllung seiner Sehnsucht im Tod?

Friderike ZWEIG überlebte das Ehepaar Lotte und Stefan ZWEIG um nahezu drei Jahrzehnte. Im Jahr 1947 erschien ihre Biografie Stefan Zweig, wie ich ihn erlebte.
Darin figuriert ihre Rivalin und Nachfolgerin Lotte bloß als Mitleidsperson. Eine Frau ohne Namen und grammatisches Geschlecht, ganz ausgelöscht ist Stefan ZWEIGs zweite Ehefrau im Briefwechsel der Jahre 1912 bis 1942, den Friderike ZWEIG auswählte, umarbeitete und im Jahr 1951 herausgab.

Es ging ihr allein um die Erinnerung an ihr Leben mit Stefan ZWEIG – ein Dichterleben in Zweisamkeit. Die sich als seine Witwe verstehende Friderike ZWEIG-WINTERNITZ starb 88-jährig am 18. Jänner 1971 in Stamford, Connecticut.
Ihre ältere Tochter Elizabeth Stoerk starb 78-jährig am 16. Mai 1986 am selben Ort und ihre jüngere Tochter Suzanne Hoeller 87-jährig am 28. Jänner 1998 in Florida.

Nach ihrem Tod konnte der unverfälschte Briefwechsel zwischen Stefan und Friderike ZWEIG von Jeffrey B. Berlin und Gert Kerschbaumer gesichtet und herausgegeben werden: Wenn einen Augenblick die Wolken weichen (2006).
Der Weg, den einst Stefan ZWEIG, seine Frau und ihre Töchter entlang den Kreuzwegstationen zu ihrem gemeinsamen Haus benutzten, heißt seit Jahrzehnten Stefan-Zweig-Weg.

Unverändert blieb jedoch die historische Adresse: Kapuzinerberg 5 – mit der noch heute existierenden Gartenpforte, dem Hochzeitsgeschenk Friderikes für ihren Stefan.

1 Recherchen des Autors Gert Kerschbaumer zu seiner Biografie Stefan Zweig – Der fliegende Salzburger ergaben, dass die Aberkennung des Doktortitels von Stefan ZWEIG durch die Universität Wien am 8. Mai 1941 bis zum Jahr 2003 nicht rückgängig gemacht wurde.
Am 11. Februar 2003 erhielt Gert Kerschbaumer einen Brief des Universitätsrektors:
»… Abschließend möchte ich mich noch einmal für Ihre umfassenden Forschungen und Recherchen bedanken. Ihr geschätztes Buch hat bereits vor dem Erscheinen einen großartigen Erfolg errungen: die Wiederherstellung der akademischen Würde eines der bedeutendsten Absolventen der Alma Mater Rudolphina Vindobonensis, Dr. Stefan Zweig.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Georg Winckler e. h.«

Quellen

  • Daniel A. Reed Library at Fredonia State of New York (Stefan Zweig Collection)
  • Israelitische Kultusgemeinde Wien
  • Pfarre St. Michael Wien
  • Magistrat Wien
  • Universität Wien
  • Stadtarchiv Salzburg
  • Landesarchiv Salzburg
Autor: Gert Kerschbaumer

Stolperstein
verlegt am 19.08.2016 in Salzburg, Kapuzinerberg 5

<p>HIER WOHNTE<br />
ALEXIA WINTERNITZ<br />
JG. 1907<br />
FLUCHT 1938<br />
FRANKREICH, USA<br />
ÜBERLEBT</p>
Familie Zweig
Foto: privat Alix & Suse Winternitz
Foto: Privat

Alle Stolpersteine: Kapuzinerberg 5