Mathias HORVATH, ein Bauarbeiter ungarischer Herkunft, der mit seiner Familie im slowakischen Ort Petržalka bei Bratislava lebte, war seit November 1940 bei der Hochbau-Bahnmeisterei der Deutschen Reichsbahn in Salzburg beschäftigt, die ihre ausländischen Arbeitskräfte vorwiegend in Barackenlagern nahe beim Hauptbahnhof und entlang der Bahnhofstraße einquartiert hatte – Schlafstellen in der Nähe ihres Arbeitsplatzes.

Der am 13. Februar 1941 von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) verhaftete Mathias HORVATH war einer der ersten Eisenbahner, die in Salzburg aus politischen Gründen verfolgt wurden.
Da er aber weder Aktivist des organisierten Widerstandes noch Salzburger war, blieb sein gewaltsames Lebensende lange Zeit unbekannt: Tod am 29. Jänner 1944 im KZ-Mauthausen.

Hinlänglich dokumentiert ist jedoch die Zerschlagung des organisierten Widerstandes entlang den verzweigten Schienenwegen im Land Salzburg durch die Gestapo zu Beginn des Kriegsjahres 1942: rund 100 gerichtlich belangte Eisenbahner, die dem kommunistischen oder sozialistischen Widerstand angehörten, wovon mindestens 29, von Franz ASCHENBERGER bis Engelbert WEISS, unter dem Terrorregime zu Tode kamen.

Zu beachten ist noch, dass die Gestapo im Kriegsjahr 1942 neun Ehefrauen, darunter Anna REINDL als Leiterin der kommunistischen Frauenzelle, mit der Deutschen Reichsbahn nach Auschwitz deportieren ließ, um jegliche organisierte Widerstandsregung für immer zu ersticken.

Somit hatte das nationalsozialistische Regime freie Hand: unbehinderte und steigende Ausbeutung der Arbeitskraft für den Vernichtungskrieg und Polizeiterror gegen widersetzliche Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die inländische Arbeitskräfte, entweder Kriegsdienst leistend oder wegen Widerstandes inhaftiert, zu ersetzen hatten.

Flucht, Arbeits- und Befehlsverweigerung, Widerstand oder Resistenz sind mögliche Verfolgungsgründe, die im Falle von Zwangsarbeit mangels eigener Zeitzeugen und Opferfürsorgeakten im Dunkeln bleiben.

Terroropfer, die stumm sind, tragen in den überlieferten Herrschaftsdokumenten selbst Schuld für ihre Schicksale, zum Beispiel der am 17. Jänner 1899 in Krakau geborene Jozef KOSCIOLEK, katholisch, verheiratet und Schlosser, der zur Arbeit bei der Deutschen Reichsbahn in Salzburg verpflichtet war und 44-jährig zu Tode kam – Todesort: Sitz der Gestapostelle Salzburg, damals Hofstallgasse 5 im besetzten Franziskanerkloster.

Der Gestapo-Bericht Dr. Hubert Huebers lautet:

Der polnische Zivilarbeiter Kosciolek Josef ist am 23. 11. 43 um 16 Uhr in der Handzelle der hiesigen Dienststelle erhängt aufgefunden worden.

Nicht erklärt wird darin, wie es dem Häftling gelingen konnte, sich in der »Handzelle«, einer zur kurzfristigen Haft benutzten kleinen Zelle, ohne fremde Hilfe (Strick und Haken) zu erhängen – Mord ist naheliegender.

Die Gestapo – ohne Polizei- oder Gerichtsarzt – bestätigte selbst die Todesart: »offensichtlicher Selbstmord«.
Zwei Tage später lag der Tote in der Erde des Kommunalfriedhofs, mutmaßlich im anonymen Grab, in der »Armensünderecke« oder »Gruft der Vergessenen« – ein der Öffentlichkeit gänzlich verborgenes Kapitel.

Die Nachwelt ist immerhin darüber informiert, dass die Deutsche Reichsbahn als »kriegswichtiger Betrieb« Arbeitskräfte aus allen eroberten und ausgebeuteten Ländern, verschleppte »Zivilarbeiter« und Kriegsgefangene zur Zwangsarbeit rekrutierte.

Die Erforschung der Lebensverläufe ausländischer Arbeitskräfte in den Reichsbahnlagern Salzburgs wird aber durch den Sachverhalt erschwert, dass im Polizeimelderegister zumeist keine Personalkarten für die Betroffenen vorhanden sind.
Zwangsarbeiter sind allerdings in Sammellisten registriert: über 30 doppelseitig beschriebene Listen allein mit der Bezeichnung »Bahnmeisterei Bahnhofstraße 8«.

Darauf stehen handschriftliche, teils schwer leserliche oder fragwürdige, aus der kyrillischen in die deutsche Schreib- und Kurrentschrift übertragene Personalien von Ausländern: Vor- und Zuname, Datum und Ort der Geburt, Glaubensbekenntnis, Familienstand, Staatsangehörigkeit, Beruf, Tag des Ein- und Auszuges und sonstige Vermerke.

Aus den Personalien ist zu schließen, dass französische Kriegsgefangene von der Deutschen Wehrmacht »beurlaubt« wurden, um sie unter Umgehung des Völkerrechts zur Arbeit zwingen zu können, beispielsweise Paul Baffogue, Kriegsgefangener des »Stalag VII A« in Moosburg an der Isar, der nach Salzburg in das Reichsbahnlager der Bahnmeisterei abkommandiert wurde: Baffogue war einer von vielen Zwangsarbeitern, die zumeist nach der Befreiung ihrer Heimatländer aus den Lagern flohen – geglückte Flucht?

Wir wissen es mangels Dokumenten noch heute nicht.
Einige unternahmen sogar wiederholt Fluchtversuche, beispielsweise sieben tschechische »Zivilarbeiter« erstmals im August 1942, nach ihrer Verhaftung ein weiteres Mal und noch ein dritter Versuch – endlich geglückt oder verhaftet und in ein KZ deportiert?
Auch Frauen flüchteten, beispielsweise die 20-jährige Französin Louise Pernay, die nach einigen Monaten Zwangsarbeit in Salzburg im September 1943 nach Paris »durchbrannte«.
Zu hoffen ist, dass sie im August 1944 die Befreiung ihrer Geburtsstadt Paris miterleben durfte.

Bei über 80 Frauen und Männern aus rund zwölf Nationen stehen lapidare Vermerke wie »Flucht«, »Haft« oder »Gestapo« ohne Hinweise auf ihre weiteren Lebensverläufe. Gewiss ist allerdings, dass nicht alle die Kriegsjahre überlebten, beispielsweise Iwan Juchtarow, geboren am 28. Jänner 1922 in Gorki (vermutlich Nischni Nowgorod in Russland), der in der ukrainischen Stadt Poltawa lebte, ehe er in das Deutsche Reich verschleppt wurde: registrierter Zugang am 2. September 1943 im Reichsbahnlager der Bahnmeisterei Salzburg und Abgang am 29. Dezember 1943 mit dem Vermerk »Gestapo«, vermutlich Haft im Polizeigefängnis, Dauer unbekannt, jedenfalls erneuter Zugang als Gleiswerker im Reichsbahnlager am 30. März 1944 und – Haft und Deportation?

Recherchen ergaben, dass Iwan Juchtarow 22-jährig am 20. August 1944 in das KZ Dachau deportiert wurde, registriert als »Schutzhäftling Russe« Nr. 92502, am 3. September 1944 in das KZ Flossenbürg transferiert und dort, drei Wochen vor der Befreiung durch US-Truppen, am 2. April 1945 ermordet wurde.

Wenn in den Reichsbahn-Sammellisten statt der Vermerke »Flucht«, »Haft« oder »Gestapo« ein kleines Kreuz steht, muss ebenfalls Schlimmes angenommen werden: Tod in Salzburg.

Das Lebensende lässt sich allerdings nicht von allen Opfern, die mit Kreuzen gekennzeichnet sind, anhand von Dokumenten rekonstruieren und belegen.
Zu bedenken ist überdies, dass die offiziellen Todesursachen nicht immer richtig sein müssen und unmenschliche Lebens- und Arbeitsbedingungen verschwiegen werden – zunächst sechs dürre Biografien als Ergebnis komplizierter Recherchen:

• Miroslav KOLAR, geboren am 11. August 1922 in Olomouc, Tschechoslowakei, war seit März 1939 Angehöriger des »Protektorats Böhmen und Mähren« unter deutscher Herrschaft und 19 Jahre jung, als er am 27. März 1942 im Reichsbahnlager an der Bahnhofstraße seine Arbeit als Elektrogehilfe antrat und noch am selben Tag, an seinem ersten Arbeitstag in Salzburg »durch elektrischen Strom« zu Tode kam (Grab unbekannt).

• Luigi COBAI, geboren am 26. September 1898 im friaulischen Ort Tarcento, Provinz Udine, war katholisch, verheiratet (angeblich fünf Kinder) und gelernter Maurer. Nicht bekannt ist das Zugangsdatum im Reichsbahnlager der Bahnmeisterei.
Dokumentiert ist lediglich, dass der italienische »Zivilarbeiter« 43-jährig am 16. Juli 1942 in Salzburg tot war: »Freitod durch Durchschneiden des Halses« als offizielle Todesursache (Grab unbekannt).

• Eugène VADON, geboren am 9. Oktober 1921 im kleinen französischen Ort Saint-Victor-sur-Rhins, Département Loire, war katholisch, ledig und Hilfsarbeiter, der von Vichy, Hauptstadt des Regimes unter Marschall Philippe Pétain, nach Salzburg in das Reichsbahnlager an der Bahnhofstraße gelangte, am Rangierbahnhof in Gnigl zu arbeiten hatte und dort 21-jährig am 8. Mai 1943 von einem rangierenden Zug zermalmt wurde (Grab unbekannt).

• Wladyslaw Jan KOWAL, am 7. August 1913 in Cattenstedt, Sachsen-Anhalt, als Sohn polnischer Eltern geboren und katholisch getauft, war verheiratet (ein Kind) und lebte mit seiner Familie in der polnischen Stadt Krakau, die unter der deutschen Herrschaft Sitz des Generalgouvernements für die besetzten Gebiete war.
Er war noch keine 30 Jahre alt, als er am 30. Juli 1943, 16 Tage nach seinem Arbeitsantritt in Salzburg, mit einer Pistole Kaliber 7,65 mm – woher hatte er als ausländischer »Zivilarbeiter« der Reichsbahn die Waffe? – Suizid begangen habe: »Selbstmord durch Schädelschuss« (Grab unbekannt).

• Latif ČELIKOVIĆ, geboren am 12. November 1902 in Ripač bei Bihać in Bosnien-Herzegowina, war Muslim, verheiratet (zwei Kinder) und Hilfsarbeiter. Er lebte mit seiner Familie in der jugoslawischen Hauptstadt Belgrad, die im Kriegsjahr 1941 beim deutschen Angriff schwer zerstört und besetzt wurde.
Der im Reichsbahnlager an der Bahnhofstraße als »serbischer Zivilarbeiter« registrierte 41-jährige Muslim wurde in der Nacht zum 3. März 1944 auf dem Salzburger Hauptbahnhof von einem Zug überrollt (Grab unbekannt).

• Klawdia (Claudia) SOLOMACHA, geborene Schulika, am 30. Dezember 1913 in Obuchowka (oder Obuchowska) bei Dnepropetrowsk geboren, christlich-orthodox (Patriarchat unbekannt) und seit 1934 verheiratet (Kinder unbekannt), lebte im ukrainischen Ort Gubinicha (Hubynycha), ehe sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Filip in das Deutsche Reich verschleppt wurde.
Die am 10. November 1943 im Reichsbahnlager Bahnhofstraße 8 (Bahnmeisterei) als »Ostarbeiterin« registrierte Frau, die auf ihrer Kleidung das Zeichen »OST« zu tragen hatte, kam an ihrem 40. Arbeitstag, am 20. Dezember 1943, zehn Tage vor ihrem 30. Geburtstag in Salzburg zu Tode: Auf dem Rangierbahnhof in Gnigl seien ihr beide Beine abgetrennt worden – ein Betriebsunfall laut offizieller Darstellung.
Das Grab ist unbekannt.
Vermerkt ist in der Sammelliste des Reichsbahnlagers die Rückkehr des verwitweten Ehemannes Filip Solomache in die Ukraine, was allerdings nicht überprüfbar ist.

Gegen Kriegsende war das Reichsbahnlager nahe beim Hauptbahnhof, wo Mathias HORVATH im Februar 1941 verhaftet worden war, zentraler Todesort: Der Grund liegt im Verbot für alle ausländischen Arbeitskräfte, die Luftschutzstollen in den ausgehöhlten Stadtbergen aufzusuchen, obschon deren Existenz vornehmlich auf Zwangsarbeit beruht.

Zielpunkt US-amerikanischer Bombenangriffe war bekanntlich der militärstrategisch wichtige Bahnhofskomplex, wo sich auch die Barackenlager befanden, weshalb die dort einquartierten Zwangsarbeiter besonders gefährdet waren.

Beim Bombenangriff am 16. Oktober 1944, dem ersten auf Salzburg, kamen beim Hauptbahnhof mindestens fünf ausländische Arbeiter zu Tode, die dann von einem Zwangsarbeitskommando geborgen werden konnten. Die Identität von zwei Toten lässt sich halbwegs klären:

• Jean Baptiste CHADEBAUD, geboren am 8. 11. 1905 in Ivry-sur-Seine bei Paris, Département Val-de-Marne, und
• Stefan KULKA, geboren am 13. Dezember 1890 in Jarocin, Polen.

Opfer des nationalsozialistischen Terrors waren ein russischer Kriegsgefangener und ein italienischer »Zivilarbeiter«, vormals Kriegsgefangener, die bei den Aufräum- und Bergearbeiten, als chaotische Zustände herrschten, beobachtet worden seien, wie sie in den Trümmern des Barackenlagers zwei Packungen Zigaretten zu je 100 Stück aufgeklaubt und »sich anzueignen versucht« hätten.

Das galt unter dem NS-Regime als »Plünderung«, wobei zu beachten ist, dass seit Kriegsbeginn 1939 die besetzten Gebiete ausgeplündert, Kriegsgefangene und »Ostarbeiter« ausgebeutet wurden.
In Salzburg wurde der russische Kriegsgefangene, den ein Aufseher der Plünderung bezichtigte, am 17. Oktober 1944 zwecks Abschreckung vor den Augen seiner Arbeitskollegen durch die Gestapo am Galgen erhängt.

Das Terroropfer hatte allerdings einen Namen:
• Alexander ZIELONKA (oder SELENKO), geboren am 26. Dezember 1913 in Naliboki bei Minsk in Weißrussland, somit 30 Jahre alt.

Am 20. Oktober 1944, schon drei Tagen danach, wurde der italienische »Zivilarbeiter« Arcangelo PESENTI in Salzburg vor Gericht gestellt und in einem beschleunigten Verfahren, ohne Einhaltung von Fristen, zwecks abschreckender Wirkung abgeurteilt.

Im Strafverfahren des »Sondergerichtes« Salzburg – Vorsitzender Dr. Karl Klemenz, Beisitzer Dr. Matthias Altrichter und Anton Niedermayr, Staatsanwalt Dr. Rolf Blum – wird bemerkt, dass der russische Kriegsgefangene Alexander SELENKO wegen desselben Deliktes auf Weisung des Reichsverteidigungskommissars (des Reichsstatthalters Dr. Gustav Adolf Scheel, Gauleiter von Salzburg) am 17. Oktober 1944 durch die Gestapo hingerichtet worden sei.

Demnach hatte das »Sondergericht« kein anderes Urteil als ein Todesurteil zu fällen.
Arcangelo PESENTI, der seine Unschuld vergeblich beteuerte – er habe gar keine Gelegenheit bekommen, die aufgeklaubten Zigaretten wie von ihm erwartet abzuliefern – wurde nach § 1 der »Volksschädlingsverordnung« vom 5. September 1939 durch das »Sondergericht« Salzburg zum Tode verurteilt.
PESENTIS Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wurde am 15. Dezember 1944 verworfen. Auch das Gnadengesuch des italienischen Generalkonsuls in München blieb erfolglos.

In der Gerichtsakte stehen auch Personaldaten: Arcangelo PESENTI, geboren am 2. März 1918 in Taleggio bei Bergamo, katholisch, ledig, Landarbeiter und italienischer Militärangehöriger, der in Griechenland, somit an der Seite Deutschlands, Kriegsdienst zu leisten hatte, war seit der Kapitulation Italiens Kriegsgefangener der Deutschen Wehrmacht, seit September 1943 im »Stalag XVIII C« in St. Johann im Pongau (Land Salzburg) interniert und seit 5. Oktober 1944 »Zivilarbeiter« der Deutschen Reichsbahn in Salzburg.

Der 26-jährige Arcangelo PESENTI wurde am 31. Jänner 1945 in München-Stadelheim durch das Fallbeil enthauptet, worauf der Münchner Oberstaatsanwalt dem Landesgericht in Salzburg lapidar meldete:
»Angelegenheit ohne Zwischenfall erledigt.«

Quellen

  • Stadt- und Landesarchiv Salzburg
  • Strafakte Sondergericht Salzburg (KLs 99/1944)

GEGEN DAS VERGESSEN

Eine Klangaktion im Rahmen einer »Stolperstein«-Verlegung in Salzburg-Hauptbahnhof am 27. Jänner 2015.
In Erinnerung an die von den Nationalsozialisten ermordeten Menschen und gegen das Vergessen der unzähligen Gräueltaten des NS-Regimes. Komposition und Einspielung: Gerhard Laber.

© 2015 by Gerhard Laber. (Vervielfältigung nur mit Erlaubnis des Komponisten)
In Solidarität mit den Opfern, Gerhard Laber

Autor: Gert Kerschbaumer

Stolperstein
verlegt am 27.01.2015 in Salzburg, Südtirolerplatz

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