Ludwig STÖSSEL, geboren am 12. Februar 1883 in Léka (Lockenhaus), Ungarn (seit 1921 Burgenland, Österreich), war das dritte von vier Kindern des jüdischen Ehepaares Berta, geborene Kopfstein, und Leopold Stössel.

Die Familie lebte seit den 1890er Jahren in Graz, Landeshauptstadt der Steiermark. Ludwigs Vater war Kaufmann. Ludwigs älterer Bruder Oskar studierte Bauingenieur, dann Malerei und Grafik in Graz und Wien.

Ludwig STÖSSEL ließ sich von Frau Maximiliane Bleibtreu, die von 1899 bis 1903 an Grazer Bühnen tätig war, zum Schauspieler ausbilden. Er galt als »begabter Kunstjünger« und hatte seinen ersten Auftritt bei einer Feier der Arbeiterbühne, die am 10. November 1901 in der Grazer Industriehalle stattfand. Der 18-jährige STÖSSEL durfte Gedichte von Friedrich Schiller deklamieren: Hoffnung und Der Antritt des neuen Jahrhunderts.

Seine Engagements an deutschen und österreichischen Provinzbühnen sind hinlänglich bekannt. Ludwig STÖSSEL spielte vorwiegend Nebenrollen. Am Salzburger Stadttheater (jetzt Landestheater) gelang es ihm jedoch, als Regisseur und Charakterdarsteller zu reüssieren.

Im Oktober 1909 führte STÖSSEL zum ersten Mal Regie: in Goethes Faust wohlgemerkt. In diesem Stück brillierte er überdies als »Mephisto«:

Wer aber so wie er die satanische Schalkheit, die diabolische Schadenfreude des Bösen in Wort und Gebärde so trefflich zur Darstellung zu bringen weiß, ist ein großer Künstler.
Salzburger Chronik, 25. 10. 1909, S. 9

Für die problematische Rolle des Juden Shylock in Shakespeares Der Kaufmann von Venedig erntete Ludwig STÖSSEL ebenfalls viel Lob in Salzburg:

Er charakterisierte den hasserfüllten Juden vortrefflich, war maßvoll in Ton und Gebärde und bot namentlich im letzten Akt eine Leistung, die wärmster Anerkennung würdig war.
Salzburger Volksblatt, 22. 11. 1909, S. 3

Es war die Leistung des Schauspielers STÖSSEL, dass sein Shylock nicht als antijüdische Karikatur wahrgenommen wurde. In Salzburg war allerdings noch unbekannt, dass Ludwig STÖSSEL Jude war. Andernfalls hätte er nicht durchwegs gute Kritiken bekommen.

Weitere Stationen seines Bühnenschaffens waren Königsberg (Ostpreußen), Breslau (Schlesien) und Berlin.

Am 2. Juni 1919 heiratete Ludwig STÖSSEL in Breslau (jetzt Wroclaw in Polen) eine Sängerin: die am 21. Oktober 1889 in Dresden geborene Eleonore Babette Birn. Sie war keine Jüdin, sondern evangelische Christin.

In den Jahren 1931/32, vor der nationalsozialistischen Machtübernahme in Deutschland, konnte STÖSSEL noch in zwei Berliner Inszenierungen Max REINHARDTs mitwirken: als »Kalchas« in Jacques Offenbachs Operette Die schöne Helena und als »Dr. Wuttke« in Gerhart Hauptmanns Schauspiel Vor Sonnenuntergang.

Gegen Ende des Jahres 1933 musste Ludwig STÖSSEL die Reichshauptstadt Berlin verlassen. Er ging nach Wien, erhielt am Raimund-Theater die Hauptrolle im Volksstück Vorstadtkomödie und avancierte als »Uhrmachermeister Bamstingl« zum Publikumsliebling:

… Er ist in dieser Vorstadtkomödie ein Volksschauspieler so ganz nach dem Herzen der Wiener.
Illustrierte Kronen-Zeitung, 29. 9. 1934, S. 10

In den letzten Salzburger Festspielsommern 1935 bis 1937 spielte STÖSSEL in Goethes Faust die Rollen »Wagner« und »Altmayer« und außerdem den »Teufel« im Jedermann. In dieser Rolle vermochte Ludwig STÖSSEL sein Publikum zu begeistern:

… mit einem Teufel von der Art Ludwig Stössels lässt sich ein Pakt schließen – nämlich ein Vertrag auf lebenslängliche Verpflichtung, den Teufel im Salzburger Jedermann zu spielen. So gut gefällt uns dieser Teufel …
Salzburger Volksblatt, 27. 7. 1936, S. 7

STÖSSEL, Publikumsliebling in der Festspielstadt, hätte also sein Leben lang den Teufel spielen können – wäre er nicht Jude gewesen.

Das wussten jedenfalls die nationalsozialistischen Machthaber, da die österreichische Karriere des Ludwig STÖSSEL im März 1938 abrupt zu Ende ging. Er war allerdings österreichischer Staatsbürger und Angehöriger der römisch-katholischen Kirche laut Melderegister der Stadt Wien.

Im Juli 1938 gelang es ihm und seiner Frau Lore, über die Schweiz nach England zu flüchten und von dort in die USA zu reisen: Ankunft am 13. September 1939 in New York. Im Februar 1945 erhielt das Ehepaar STÖSSEL die US-amerikanische Staatsbürgerschaft.

Bemerkenswert ist, dass Ludwig STÖSSEL trotz seines unverkennbar deutschen Akzents in Hollywood Fuß fassen und in zahlreichen Filmen mitwirken konnte, allerdings nur in kleinen Rollen und Szenen. Nachhaltigen Ruhm erlangte STÖSSEL als Emigrant »Mr. Leuchtag« im Kultfilm Casablanca (1942).

Die gekürzte Filmversion, die das deutschsprachige Kinopublikum in den 1950er Jahren zu sehen bekam, war bloß eine harmlose Romanze. Die Anti-Hitler-Filme Hitler’s Madman und The Strange Death of Adolph Hitler, mit STÖSSEL als Nebendarsteller, wurden im deutschsprachigen Raum gar nicht gezeigt.

Ludwig STÖSSELs Schwester Isabella und ihr Ehemann Max Stessel, im Jahr 1906 in der Grazer Synagoge getraut, wurden 1942 in Treblinka ermordet. STÖSSELs Bruder Oskar, ein namhafter Künstler, kehrte als US-Bürger nach Österreich zurück und starb 1964 in Wien.

Ludwig STÖSSEL starb kurz vor seinem 90. Geburtstag am 29. Jänner 1973 in Hollywood und seine Frau Lore zwei Jahre später.

Quellen

  • Israelitische Kultusgemeinde Wien
  • Archiv der Salzburger Festspiele
  • Stadt- und Landesarchiv Wien
  • Stadt- und Landesarchiv Salzburg (Foto: Stössel in Salzburg)
Autor: Gert Kerschbaumer

Stolperstein
verlegt am 17.08.2020 in Salzburg, Max-Reinhardt-Platz

<p>HIER WIRKTE<br />
LUDWIG STÖSSEL<br />
JG. 1883<br />
SCHAUSPIELER<br />
FLUCHT 1938<br />
USA</p>
Ludwig Stössel: »Teufel« im Salzburger Jedermann (1935-1937) und »Mr. Leuchtag« in Casablanca (1942)
Quelle: Archiv der Stadt Salzburg Ludwig Stössel
Quelle: shalom-lockenhaus.at

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