Das jüdische Ehepaar Rosa, geborene Wasserzug, und Rudolf Weinstein hatte drei Kinder – eine Tochter und zwei Söhne, die in Salzburg geboren wurden:
• Else am 21. Februar 1902 (verehelichte STEINDLER),
• Walter am 25. April 1903 und
• Viktor am 13. November 1905
– eine der rund 50 jüdischen Familien, die das »Heimatrecht« der Stadt Salzburg noch während der Monarchie Österreich-Ungarn erwerben konnten.

Die Familie Weinstein hatte in der Salzburger Neustadt, unweit der Synagoge, ein Geschäft für Galanterie-, Kurz- und Wirkwaren.

Der Name Rudolf Weinstein, aktives Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg, steht auf einer Boykott-Liste, die der Salzburger Antisemitenbund seit den frühen 1920er-Jahren publizierte – mit dem Ziel, die Existenz aller Jüdinnen und Juden in ihrem Lebensort Salzburg zu vernichten.

Der aggressive Rassen-Antisemitismus zeigt sich am starken Rückgang jüdischer Geburten und Trauungen in Salzburg.
Die Daten müssen allerdings rekonstruiert werden, weil die Matrikelbücher der 1911 gegründeten Kultusgemeinde Salzburg unter dem nationalsozialistischen Regime vernichtet wurden.

Am 19. März 1923 heirateten Else, die älteste der Geschwister Weinstein, und Eduard STEINDLER, Kaufmann in Bürmoos, in der Salzburger Synagoge. Am 17. April 1924 bekam das Paar einen Sohn mit dem Vornamen Ernst.

Ernst besuchte in Salzburg die Realschule und feierte am 28. März 1937 seine Barmizwa in der Synagoge – in Gegenwart seiner Eltern, deren Ehe allerdings in die Brüche ging.

Else STEINDLER machte sich Mitte der 1930er-Jahre selbständig und betrieb ein kleines Textilgeschäft im Salzburger Andrä-Viertel, im »Faberhaus« Rainerstraße 2, auf der linken Seite des Haupteingangs.
Am selben Ort hatte ihr Bruder Viktor WEINSTEIN seit April 1931 ein florierendes Geschäft für Gemischtwaren und Spezereien, für Delikatessen, Weine und Liköre, wie auf seinem Geschäftsschild zu lesen war.

Erzählt wird, dass die mondänen »Faberhäuser« an der Rainer- und Franz-Josef-Straße – Wohn- und Lebensorte einiger jüdischer Familien – im antisemitischen Salzburg als »Judenhäuser« galten.
Der Eigentümer des »Faberhauses« Rainerstraße 2, Geza Hartner, der Lokale und Wohnungen vermietete, galt ebenfalls als Jude, war aber keiner.

Am 15. März 1938 ließ die Gestapo Salzburg die Geschäfte der Geschwister Else STEINDLER und Viktor WEINSTEIN gewaltsam schließen – mit dem sichtbaren Schild »Judengeschäft«.
SS und Gestapo raubten Delikatessen, Textilien und Betriebsmittel – geplünderte »Judengeschäfte«, in die »arische« Mieter einzogen: Franz Suppan mit Lederwaren und Markus Maier mit Sportartikeln.

Im Fokus stehen aber nicht die Beutemacher, vielmehr ihre Opfer, ihre Beraubung und Vertreibung aus ihrem Lebensort Salzburg.
Fluchtziel der Eltern Rosa und Rudolf Weinstein, beide 60-jährig, war Tel Aviv im damals britischen Mandatsgebiet Palästina, wo ihr Sohn Walter mit seiner dort gegründeten Familie seit 1935 lebte – fern seiner Geburtsstadt Salzburg mit grassierendem Antisemitismus.1

Walters Schwester Else STEINDLER und ihr Sohn Ernst schafften ebenfalls den Sprung in die Freiheit: Die beiden gelangten um die Jahreswende 1938/39 nach England.
Die Ehe der 36-jährigen Else STEINDLER war mittlerweile geschieden. Ihr 15-jähriger Sohn Ernst verlor aber seinen Vater, dem die Flucht vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges missglückte.
Am 20. Oktober 1939 wurde sein Vater Eduard STEINDLER 47-jährig von Wien nach Nisko in das besetzte Polen deportiert und dort ermordet.

Elses Bruder Viktor WEINSTEIN befand sich rund 14 Monate in Gestapo- und KZ-Haft – als Jude, der verdächtigt wurde, Kommunist zu sein:

Kommunisten unter sich
Salzburger Chronik, 4. März 1938, S. 8f.

Viktor WEINSTEIN besaß bis zur Sperre seines Delikatessengeschäftes im März 1938 einen Matrizendrucker, den Kunden benutzen durften, auch ein Aktivist der verbotenen KPÖ, der auf dem Gerät »Die Rote Fahne« vervielfältigt haben soll – ein Verdacht, der genügte, um Viktor WEINSTEIN aus politischen Gründen zu verfolgen.

Der Matrizendrucker war mittlerweile Beute der Gestapo Salzburg.

Die Gestapo ließ Viktor WEINSTEIN am 5. September 1938, nach fünfeinhalb Monaten Haft in Salzburg, in das KZ Dachau deportieren. Von dort wurde er nach Buchenwald transferiert: Zugang 23. September 1938, Häftlingsnummer 9966, »Jude Pol.« (politischer Häftling).
Dokumentiert ist ebenso, dass der 33-jährige Viktor WEINSTEIN am 11. Mai 1939 aus dem KZ Buchenwald entlassen wurde.

Seine traumatischen Erfahrungen als Gestapo- und KZ-Häftling gelangten nicht an die Öffentlichkeit.
Wir wissen jedenfalls, dass ihm die Flucht nach England glückte, ehe der Zweite Weltkrieg ausbrach.

Viktor WEINSTEIN, »refugee from Nazi oppression«, heiratete 1940 im Exilland, bekam einen Sohn, wurde Brite und starb 60-jährig am 18. März 1966 in Kingston upon Thames (Bushey Jewish Cemetery).

Seine Schwester Else STEINDLER, die ebenfalls einen britischen Pass erhielt, starb 79-jährig am 29. Oktober 1981 in Sunbury-on-Thames (Bushey Jewish Cemetery).

Ihr Sohn Ernst (Ernest) gab seinem am 30. Oktober 1950 in London geborenen Sohn den Vornamen Edward, dessen Großvater Eduard STEINDLER Holocaust-Opfer ist.

Schließlich ist festzuhalten, dass überlebende Familienmitglieder für ihre Verluste, Raub, Vertreibung und Deportation, keine Entschädigung von österreichischer Seite erhielten.
Es besteht kein Zweifel: Antisemitismus überdauerte die Befreiung Österreichs.

1 Walter Weinsteins Antrag auf eine offizielle Bestätigung seiner Emigration wegen des grassierenden Antisemitismus wurde im Jahr 1975 vom Amt der Salzburger Landesregierung mit folgender Begründung abgewiesen:
» … Ergänzend zur Anfrage wird weiters mitgeteilt, dass sich befragte, ältere, gebürtige und ortsansässige Salzburger nicht erinnern können, dass bereits im Jahre 1935 ein antijüdischer Druck – wie Sie Ihre Ausreise bezeichnen – stattgefunden hat. Die beantragte Bescheinigung der Emigration kann daher nicht ausgestellt werden.«
(Amt der Salzburger Landesregierung Zl. 3.07 – 5001/57 – 1975)

Quellen

  • Israelitische Kultusgemeinden Wien und Linz (Geburten. und Trauungsbücher der Kultusgemeinde Salzburg unter dem nationalsozialistischen Regime vernichtet)
  • Stadt- und Landesarchiv Salzburg: Heimatmatrik, Melderegister, Gewerbeakten, Akten Landesgericht Salzburg (Verfahren 13 Vr 60/38), Verzeichnis arisiertes Vermögen (Dr. Josef Weiss, 2. 8.1945), Fotosammlung Krieger
  • Albert Lichtblau: »Arisierungen«, beschlagnahmte Vermögen, Rückstellungen und Entschädigungen in Salzburg, Wien-München 2004, S. 51-53
  • Arolsen Archives: KZ-Haft Viktor Weinstein
  • Anno: Austrian Newspapers online

Stolperstein
verlegt am in Salzburg, Rainerstraße 2

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